Büchners Braut: Roman (German Edition)
noch etwas! Und weißt du, mit einem Geheimnis ist es wie mit einem Schatz: Wenn man ihn alleine hüten muss, findet man Tag und Nacht keinen Schlaf.
Lächelnd beugte er sich zu ihr, ließ den Kopf hinunter in ihre Hände sinken. Du bist ja meine kluge Frau.
Diese Schrift hier?, wisperte Minna. Die Dunkelheit war schnell gekommen. Georg hatte neben der Öllampe noch zwei Kerzen angezündet, damit sie besser lesen konnte.
Ja, dies sind der Anfang und erste Entwürfe. Wir haben … nun, es wurde noch einiges geändert.
»Der Hessische Landbote«, las Minna, blieb dabei vor dem Schreibtisch stehen. Und dein Freund Minningerode wurde verhaftet, als die ersten Exemplare fertig waren?
Gleich am 1. August, am Selterstor, gerade als er in Gießen mit einem Teil der Drucke eintraf. Ich hatte auf seine Ankunft gewartet. Von meinem Zimmer aus kannman die ganze Straße überschauen. Es war entsetzlich, das anzusehen. Zwei Gewehre auf ihn gerichtet, wie sie ihm die Hände auf den Rücken banden. Mein Gott! Es gab Verrat. Verstehst du das: Verrat!
Mit langsamen, aber nichtsdestoweniger energischen Schritten begann Minna im Zimmer auf und ab zu gehen. So konzentriert hatte Georg Minna noch nie gesehen. Kein Jammern, kein Warnen, kein Heulen.
Ihre Stirn lag angespannt in Falten, als sie fragte: Weiß dein Bruder Wilhelm davon?
Aber ja, sonst wäre ich hier längst dem Wahnsinn verfallen.
Er hockte sich auf einen Stuhl, die Hände mit verschränkten Fingern vor dem Gesicht, der Blick ins Leere. In solcher Haltung, in tiefer Sorge müssen die Menschen wohl das Beten ersonnen haben, dachte Minna.
Sofort nach der Verhaftung des Freundes hatte Georg Gießen verlassen, um alle anderen in Butzbach und Offenbach zu warnen. Bei seiner Rückkehr vier Tage später hatte er sein Zimmer durchsucht vorgefunden, die Tür versiegelt.
Sie konnten nichts entdecken, Minna, nein, ich habe dort nichts Verräterisches hinterlassen. Aber sie nahmen Briefe mit, stelle dir vor, von dir, von Alexis, von den Eltern. Meine heiligsten Geheimnisse in den Händen dieser schmutzigen Menschen!
Es wurde gegen ihn Haftbefehl hinterlassen, aber der Universitätsrichter Georgi konnte keine Beweise beibringen, zudem hatte Georg gerade Briefe vorlegen können, die bewiesen, dass er mit Eugène in Frankfurt im Hotel »Zum Schwan« verabredet gewesen war.
Ich habe mich vor diesem versoffenen Fürstendiener,vor Georgi, mit der höchsten Empörung beschwert. Georgs Stimme klang heiser vor Verachtung. Ja, ich habe mich vor ihn gestellt, in seine glasigen, triefenden Augen gesehen. Man darf sich nicht ducken!
Jetzt musste Minna sich festhalten, ließ sich auf dem Hocker ihm gegenüber nieder. Mit matter Bewegung hielt sie ihm die Blätter entgegen.
George, dies hast du geschrieben! Dies sind deine Worte! Sie würden dich dafür über Jahre in eine Zelle setzen, wenn sie dich überhaupt je wieder … Bei Gott!
In ihrem Gesicht lag nur noch ein Schatten der überlegenen Klarheit. Sie wusste, von nun an, solange Georg noch in diesem Land war, würde sie keine ruhige Minute mehr finden. Wie eine eiserne Spirale hatte jedes Wort seiner Erzählung in ihr die Anspannung hochgeschraubt. Sie wunderte sich, wie sie diese Nacht ohne Tränen überstand, in einem steinernen Schlaf.
Und am Morgen dann eine Sonne, die zügig die frühen Nebel vertrieb, den Tag warm werden ließ. Die Tante meinte, Minna sehe schlecht aus, aber Minna redete sich heraus, der Abschied sei so nahe. Im Garten veranstalteten die Vögel ein trällerndes Szenario, als begännen sie nochmals zu brüten. Die Bank lag im vollen Sonnenschein, als sie das Buch aufschlugen, eine Weile lasen, bis Minna fragte: Der Fluchtweg nach Straßburg ist gesichert?
So gut es geht, ja, Minna. Es wäre mein Tod, wenn ich in Gefangenschaft geriete.
An der Hauswand gab der rotgeränderte wilde Wein den untrüglichen Hinweis, dass es Herbst war. Sie sah zu seinem Fenster hoch.
Und ebenso mein Tod, George.
Ohne Pathos kam der Satz aus ihr, es war eine reine Feststellung. Sie lasen weiter.
***
An diesem Fenster wird Georg gemeinsam mit Wilhelm vier Monate später eine Leiter für seine Flucht bereitstellen. Georg wird sie benutzen, nachdem er im Februar zwei Vorladungen des Untersuchungsrichters nicht nachgekommen war. Am 6. März 1835 verlässt er Deutschland, überquert bei Bergzabern als Weinhändler oder Gerber getarnt die Grenze und reist über Wissembourg nach Straßburg.
In diesen Monaten hatte Minna gebetet,
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