Büchners Braut: Roman (German Edition)
George hatte gesagt, man solle sein Leben lang auf der Hut sein, sein Herz nicht in ein hohles Frommsein nach den Glaubensbüchern fallen lassen. Dabei ist es doch nur ein Muskel, der Blut durch den Körper pumpt.
Ach, George.
Du seufzt?
Ich hatte lange geseufzt. Zwei Jahre lang heimlich verlobt zu sein! Davon die letzten Monate, mehr als ein halbes Jahr, allein, ohne dich. – Jetzt muss ich nachdenken. Einer baut sein Haus auf Sand, der andere auf Stein. Genügt allein dieses Bild als Aussage? Ich muss sie fragen: Wie ist Sand beschaffen? Wie ist im Gegensatz dazu Stein?
Sand? Wie kann man auf Sand bauen? Wo ist so viel Sand? Zwei der Mädchen konnten sich einen Boden, der über und über mit Sand bedeckt ist, nicht vorstellen. Also erst die Erklärung, wo es Länder gibt, in denen weite Teile des Landes von Sand bedeckt sind. Die Landkarte aufhängen, den Kindern das Heilige Land zeigen. Hier das Mittelmeer und da das Rote Meer. Der blaue Fluss ist der Jordan, an dem unser Herr Jesus getauft wurde.
Die Mädchen saßen nun in einem Halbkreis vor der Karte, Minna brauchte nichts mehr zu sagen, wenn eine Karte an den Nagel zwischen den Bildern gehängt wurde, stellten sie gleich ihre Stühlchen um.
Bon, hier das Heilige Land, es ist sehr trocken dort, und je weiter man nach Süden kommt, umso mehr findet man auch im Landesinneren weite sandige Gebiete und Wüsten. Hier die Sahara, in Afrika, aber davon ist auf dieser Karte nur wenig zu sehen, hier sind Unmengen von Sand zu Dünen aufgeweht. – Wer kennt Dünen? Wer war am Meer? Ja. Du, Madeleine?
Madeleines Vater war Arzt, und ihre Mutter stammte aus Marseille. Sicher, das Kind hatte schon Dünen gesehen.
Seht ihr, am Mittelmeer, hier war Madeleine, neben dieser Stadt, und in allen Ländern rings um das Mittelmeer findet man Strand, Sand, einfach Sand und Dünen.
Aber hier im Heiligen Land und in Ägypten gibt es noch größere Mengen an Sand, nicht nur am Meer. Und stellt euch nun vor, am Strand baut jemand ein Haus.
Die Mädchen nickten.
Und dann kommen die Wellen und Wind.
Dann wird das Haus zerstört.
Oui, und baue ich mein Haus auf einem festen Felsengrund, gebe ich ihm ein gutes Fundament, auf dem mein Leben gedeihen kann.
Einige Mädchen schaukelten mit den Füßen. Minna duldete es. Wenn es sein musste, reichte ein leichtes Berühren des Knies, ein eindringlicher Blick. So ist es recht. Ein junges Mädchen wippt nicht mit den Beinen.
Ich bin doch noch ein Kind, Mademoiselle Mimi.
Nun gut, ja, ein Kind, aber bald …
Und wie ein Haus auf festem Felsen ein gutes Fundament hat, sicher steht, so sollen wir den Glauben und unser Leben auf unseren Herrn Jesus bauen.
Die Kinder schauten, lächelten. War dies nicht alles geradezu grotesk? Wie sollen sie das verstehen? Auf einen Menschen bauen?
Ida glaubte noch nicht, dass es solche Mengen Sand geben könne in einem Land. Sie kannte nur Straßburg, Häuser neben Häusern in gepflasterten Straßen. Ihre Eltern arbeiteten in der Tabakfabrik, und Minna verlangte kaum Schulgeld von ihnen. Daher drückte sie ein schlechtes Gewissen, und sie wollten Ida aus der Schule nehmen. Minna hatte sie beruhigt, Ida solle lieber in den Unterricht kommen, statt fast den ganzen Tag alleine zuHause zu sein. Ihr elfjähriger Bruder machte Gelegenheitsarbeiten, Brote austragen für einen Bäcker, ganz früh, wenn es noch dunkel war, oder Zeitungspapier sammeln. Daher ging er selten in eine Schule.
Im letzten Winter war Ida öfters zu spät in den Unterricht gekommen. Da war sie zuvor mit ihrem Bruder einem Kohlenwagen hinterhergegangen, die Bröckelchen und Krümel einzusammeln, die beim Ausladen und Schleppen der Kohlensäcke herunterfielen. Ida kam mit schmutzigen Händen und schwarzer Schürze an. Oberlin und auch die Rauscherin hatten die Kinder, die nicht sauber in die Schule kamen, heimgeschickt. Sie sollten sich erst waschen gehen. Die Erziehung zur Reinlichkeit. Innere Reinlichkeit bedinge auch eine äußere. Aber Ida wohnte eine halbe Stunde Fußweg entfernt. Hier war kein Dorf. Minna hatte der Kleinen ihre Waschschüssel gegeben und das schmutzige Kittelschürzchen beiseitegelegt.
Leiden sei all mein Gewinnst, kam Minna der Text eines Kirchenliedes in den Sinn. Den würde sie nicht singen mit den Kindern. Jetzt musste es dieser sein:
Eine feste Burg ist unser Gott,
darum will ich ihn loben.
Er rett’ und hilft in aller Not,
obgleich die Welt tut toben.
Sie sangen zusammen. Minna ging dabei im Raum auf
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