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Büchners Braut: Roman (German Edition)

Büchners Braut: Roman (German Edition)

Titel: Büchners Braut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Klepper
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entdeckt. Und Fröbel hatte andere Werte in den Kindern wecken wollen. Man schimpfte ihn einen alten Narren, der mit Kindern spielte. Nun, seine Ansichten brachten ihm nicht wenig Ärger. Dass sie selbst Fröbels bekanntes Buch, die Mutter- und Koselieder, besaß und auch Werke über sein Erziehungsideal gelesen hatte, musste niemand wissen.
    Sie ging mit den Mädchen im Kreis herum, und sie sangen ein Frühlingslied.
    Einige Jahre hatte Minna an der Entwicklung der Kindererziehung teilgenommen. Sie wollte nicht stehenbleiben bei dem, was sie bei der Rauscherin gelernt hatte, was in den althergebrachten Büchern der großen französischen Gouvernanten, bei Madame de Genlis und Madame Campan, stand, oder auch bei Caroline Rudolphi in ihrem »Gemälde weiblicher Erziehung«. Alles unbrauchbar für Kinder einfacher Leute.
    In Darmstadt hatte sie Julius Fölsing erlebt, der dort gerade eine Kleinkinderschule für die Kinder aus höheren Ständen und eine draußen vor dem Jägertor als Schutzhort für Kinder von Taglöhnern, Feldarbeitern und Gewerbsleuten gegründet hatte. Der hielt es für durchaus nachteilig, wenn man im religiösen Eifer fast nur mit gefalteten Händen auf die zarten Gemüter der Kinder losging, jedes heitere, freundliche Gedicht und Spiel wie Feuer gemieden wurde. Da hatte Minna für sich eine Entdeckung gemacht: In allem, was sie bei Fröbel und Fölsing las, fand sie die Berechtigung, die Kindererziehung als eigenes Handwerk zu sehen. Die Erzieherin war nicht einfach das Werkzeug, mit dem das Seelenheil der Kinder gerettet werden sollte. Ein Mensch sollte herangebildet werden. Eine Einsicht, die sie vor ihrer Zeit bei den Müfflings noch nicht gewonnen hatte. Dort hatte sie erst den hohen Wert ihrer Arbeit erkannt. Die kleine Pauline von Müffling war ein aufgewecktes Kind, sollte natürlich zur zukünftigen Gattin eines Offiziers, eines Adligen oder reichen Kaufmanns erzogen werden. Das Nötigste an geistiger Bildung, hatte Paulines Vater gesagt. Einen klaren Geist wünschte sichdie Mutter. Dies war vorsichtig ausgedrückt. Ein klarer Geist hieß durchaus, Einsichten zu haben, das Leben erkennen und begreifen zu wollen. Minna versuchte ihr Bestes, und dies hieß in der Regel, alles brav so anzuwenden, damit ein gutes Maß an Bildung zur Grundlage für die weitere Erziehung zur jungen Frau geboten wurde. Pauline war ja »nur« das jüngste Kind Müfflings, aus seiner dritten Ehe. Eine eigene Gouvernante zu haben, war ein Luxus, der Pauline offensichtlich auf Wunsch der Mutter gewährt wurde. Die wollte für ihr Töchterchen »mehr«. Aber was? Wie es erreichen, Madame von Müffling? Wo ist mein Handwerkszeug dazu? Bin ich gut genug dafür?
    Minna hätte Gouvernante bleiben können, die Freifrau von Müffling hätte ihr eine glänzende Empfehlung ausgestellt. Aber Minna hatte an sich gezweifelt, es fehlte an Mut. Die Aufgabe als Erzieherin war so groß, fast unfassbar. Einen jungen Menschen ins Leben begleiten! Wer sollte von sich sagen können, er schaffe dies leicht? Und immer unter Fremden leben, nicht ganz als Tochter, nicht ganz als Dienstmädchen, geachtet, aber täglich in merkliche Schranken gewiesen. Für ein oder zwei Kinder da sein, ständig dieselben Probleme, Verantwortung von früh bis spät, bis der Abend den Rückzug in ein bescheidenes Refugium erlaubte. Nein, dies nicht noch einmal. Sie war zurück nach Straßburg gegangen, eröffnete ihre »école libre de filles«. Die Kinder sollten zu ihr kommen, sie konnte sie aussuchen, die aus ärmlicheren und die aus besseren Verhältnissen zusammenbringen und ihre Entwicklung verfolgen. War der Unterricht zu Ende, dann hinaus mit ihnen, und hier war wieder ihr eigenes Heim. Sie wollte nicht mehr selbst inder Nacht noch das Gefühl ehrfürchtiger Dankbarkeit haben müssen, weil sie unter einem reinen, duftenden Plumeau schlafen durfte.
    So lebte sie wieder in Straßburg, einen Steinwurf von ihrem Geburtshaus entfernt, keine andere Stadt hatte ihr ein neues Leben angeboten. – Zürich! Die einzige Reise dorthin war schon das Ende dieses Lebens gewesen.
    Dann war sie noch nach Offenbach und Darmstadt gereist. Und Mainz natürlich, wo sie vier Jahre lang lebte. Die vier Wochen Sommeraufenthalt mit den Müfflings in Ostende nicht zu vergessen. Dies war alles. Sie sei ja geradezu eine weitgereiste Frau, hatte einmal die Gattin eines gutsituierten Beamten gemeint. Es stimmte, ja, die meisten Frauen konnten keine Handvoll solcher Reisen

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