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Büchners Braut: Roman (German Edition)

Büchners Braut: Roman (German Edition)

Titel: Büchners Braut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Klepper
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ich in Mainz vier Jahre in einem Bergwerk gearbeitet, im Bergwerk der Menschenfindung eines Mädchens, von morgens bis abends geschürft und geformt, den Verpflichtungen innerhalb einer Familie ausgesetzt, der man nicht angehörte, und erst als ich zurück war, kam der Zusammenbruch. Eh bien, so blieb ich in Straßburg, immer wieder Straßburg.
    Ich werde wiederkommen, hatte auch George gesagt bei seinem ersten großen Abschied im Sommer 1833. Er liebte Straßburg. Minna war hier nur zu Hause. – Du schätzt Straßburg zu wenig, hatte George sie gerügt.
    Ja, du hast recht, aber nun, was man so ganz und gar kennt …
    So, du kennst Straßburg ganz und gar, mein lieb Kind, du kennst nur diesen Winkel, das Münster, die öffentlichen Plätze und die Häuser der Bekannten.
    Ja, und? War dies nicht genug? Minna war mit dem Buch in der Hand aufgestanden, ging nachdenklich umher. Du nimmst mir noch die schöne Gelassenheit, mit deinen Kommentaren. Diese Erinnerungen. Sie war bei diesem Gespräch damals eifersüchtig geworden, ja, es war Eifersucht, auf die Burschen, die alles durften, jeden Winkel und alle Orte kennenlernten, von denen ein Mädchen in der eigenen Stadt nichts wusste. Die Burschen fühlten die Stimmung einer Stadt im Dunkeln,nach Mitternacht, die sie nur am offenen Fenster erleben durfte. Den Kopf durfte die Frau in die Welt stecken, in Bücher und Landkarten, fortkommen durfte sie nur selten, und selbst im Geist weit zu kommen, galt meist schon als anrüchig. Und wandern, das durften die Burschen auch. Nicht nur spazieren gehen, den Weg hier, oh, wie hübsch, fahren wir hinaus in die Wanzenau, die Linden blühen gerade. Georg machte mit seinen Kommilitonen tagelange Wanderungen in den Vogesen.
    Du hast leicht reden. Was soll ich in dieser Stadt mehr kennen als das, was ich kennen darf.
    Ihm hatte ihr Ärger gefallen, als sie sich in ihre Kammer zurückzog.
    Nein, mir gefiel mein Ärger damals gar nicht, es war ja kein Ärger, es war Betroffenheit, ich war deprimiert.
    Oh, Julie! Sie musste hinunter, das tägliche kleine Mittagsmahl mit ihr einnehmen. Aber Minna fühlte nicht die geringste Lust, dem Hunger oder der Pflicht nachzukommen. Sie setzte sich wieder leger zurecht. Wie sie es bereits als junges Mädchen gerne hatte, zog sie die Füße zu sich auf den breiten Sessel, lehnte bequem auf ihren linken Arm gestützt. So hätte sie verharren mögen bis weiß Gott wann. Meist kam diese Stimmung erst abends über sie, wenn keine Aufgaben mehr riefen und die Ruhe Einzug hielt. Sie war dann in Gedanken versunken, jedoch ohne Linie und Richtung. Ein willkürlicher Reigen von Bildern wanderte ihr durch den Kopf. Minna wusste, dies hatte wohl mit der Melancholie zu tun, die man den Alleingelassenen nachsagte. Zu wenig Ansprache. Keine Kinder. Keine Familie. Familienstand ledig. Nun ja, sie hatte Julie und Charles, aber nein, Familie – Familie war etwas anderes. Wenngleichdie beiden gerade unten auf sie warteten. Minna war es egal. Sie hielt sich am Buch der Gleim fest, las ein paar Seiten.
    Wie flach der Geist werden kann, wenn ihm die Anregung fehlt. Fast wie wenn die Lunge nach einer Bettlägerigkeit nur noch eine flache Atmung zulässt, bei jeder Anstrengung warnt. So ruderte sie mit leichtem Boot durch das seichte Gewässer einer Alltäglichkeit. Und was kommt noch? Warten auf das Dahinsiechen? – Fürchterliche Gedanken! Mitten im Leben. Was hieß das schon? Sie wusste genau, George hatte solche Gedanken bereits mit zwanzig Jahren gehabt. Ganz im Gegensatz zu ihr. Ihr Geist war voll von Lebensdurst und Gier nach Anregung durch Georgs Worte, seine Gedanken, seinen Witz. Sie wollte ihn in seiner tiefen Stimmung oft nicht verstehen, die er notdürftig in Ironie und Sarkasmus kleidete. Was zerrte und nagte in seinem Kopf?
    Dabei sagte er einmal: Manchmal glaube ich, mein Kopf ist wie ein Buch ohne Buchstaben, mit nichts als Gedankenstrichen. Ist das nicht ein konfuser Gedanke, Minna?
    Und sie hatte geantwortet: Du hast zu viel im Kopf, mon cher, und für mich bleibt kein Platz darin. Alles purzelt dir durcheinander vor lauter Denken. Und übrig bleiben nur Gedankenstriche.
    Eine plötzliche Beklemmung am Herzen ließ Minna auffahren. Sie atmete hastig, lehnte sich zurück. Immer wieder kamen diese Attacken. Nicht so häufig wie damals, nach dem Streit mit Ludwig wegen seiner unseligen Veröffentlichung ihrer liebsten Briefe. Briefe vonGeorg an sie, die eindringlichsten und schönsten hatte sie für Ludwig

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