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Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Engler
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»Angebot, sich von konkreter Solidarität freizukaufen«, und verschärfe dadurch »die Logik der
     kapitalistischen Industriegesellschaft, die er doch gerade brechen wollte«; 251 spielt man das Honoratiorenwesen des neunzehnten Jahrhunderts gegen den »Bürokratismus« aus und stimmt das Lob der »freiwilligen
     Verpflichtung« ökonomisch gut gestellter Bürger an, Bedürftigen in ihrer Nachbarschaft die Hand zu reichen, armen Arbeitenden,
     Arbeitslosen, alleinerziehenden Frauen. »Vitales Sozialleben«, erzeugt und aufrechterhalten durch |240| ein »gut funktionierendes paternalistisches Nachbarschaftssystem« 252 : man muß vom Haß auf den Staat geradezu gepeinigt sein, um daran glauben zu können. Der in die Krise geratenen Erwerbsarbeitsgesellschaft
     das wohlfeile »Quartiersmanagement« des philanthropischen deutschen Bürgertums als Vorbild anzudienen ist ein schlechter Witz.
     Wiedergewinnung des Sozialen in der Depraviertengemeinschaft: Von Arbeit befreit, können sich die Armen ausgiebig um die Armen
     kümmern, je nach »Zufall und Begegnung«, statt, wie der Bürokrat, »nach dem Terminkalender«. 253
    3. Empirisch nachweisbar ist etwas ganz anderes: der enge Zusammenhang zwischen wohlfahrtsstaatlichen Aktivitäten und der
     persönlichen Bereitschaft, sich gemeinsam mit anderen uneigennützig zu engagieren. Die bislang umfassendste Fallstudie zu
     diesem Thema bezog acht Nationen ein (Großbritannien, Schweden, Australien, Japan, Frankreich, Deutschland, Spanien sowie
     die USA) und untersuchte deren »soziales Kapital« von den 1960er Jahren bis in die Gegenwart. 254 Bestimmend für die Auswahl war ein möglichst großer, zugleich repräsentativer Variantenreichtum an a) nationalen Spielarten
     des Wohlfahrtsstaats b) lebendigen Traditionen solidarischen Verhaltens, c) je eigentümlichen Kontexten wohlfahrtsstaatlichen
     Engagements (familial wie in Spanien, korporatistisch wie in Japan oder ehrenamtlich wie in den Vereinigten Staaten). Der
     aus all diesen Differenzen hervorgehende, gemeinsame Befund verblüfft durch seine Klarheit: Herausbildung und Ausbau des Wohlfahrtsstaates
     führen nicht zur Einbuße an bürgerschaftlichem Engagement. Die beiden Länder mit den ausgeprägtesten Wohlfahrtspolitiken,
     die Niederlande und Schweden, erreichen auch die höchsten Werte bei der unbezahlten Arbeit in ehrenamtlichen Vereinigungen.
     Für die anderen untersuchten Länder gilt auf niedrigerem Niveau und abgestuft dasselbe. Aktiver Sozialstaat und wacher Bürgersinn
     vertragen sich nicht nur miteinander, sie fördern sich auch wechselseitig. Wachstumsphasen staatlich organisierter Wohlfahrt
     stimulieren |241| fast durchgängig die Ausdehnung und Vertiefung der sozialen Bande. Hier einige Exempel zur Nachdenklichkeit unserer neuen
     Staatsfeinde:
    Frankreich: »Das Wachstum des Wohlfahrtsstaates ist der nächstliegende Erklärungsfaktor für die außergewöhnliche Entwicklung
     des Vereinssektors seit 1960 … Jede Spitze der Kurve korrespondiert mit einer politischen Entscheidung, durch die der Wohlfahrtsstaat
     erweitert wurde.« 255
    USA: »Viele der amerikanischen Mitgliederorganisationen erlebten ihre Blütezeit, als sie die staatlichen Behörden bei der
     Durchführung der Sozial- und Dienstleistungen für Millionen von Menschen unterstützten … Vom Bürgerkrieg bis zur Nachkriegszeit
     wirken ehrenamtliche Mitgliedervereinigungen als Ergänzungen der amerikanischen Version des modernen Wohlfahrtsstaates.« 256
    Schweden: »Während die Kritik des Wohlfahrtsstaates für die politische und intellektuelle Elite ein zentrales Thema ist, nahm
     die öffentliche Unterstützung für dieses System zu.« 257
    Australien: »…ergab sich, dass der Staat noch immer als wichtigster Akteur bei der Herstellung von Gleichheit angesehen wird
     – die Zustimmung blieb hier relativ konstant … Der Widerspruch zwischen dem Wunsch nach Gleichheit und der wachsenden Ungleichheit
     ist ein klarer Faktor zur Erklärung des Vertrauens.« 258
    4. Die Tatsachen widerlegen die kommunitaristische Doktrin; die modische Staatsverachtung sowieso. Nur Menschen, die ihrer
     selbst, ihrer Stellung in der Gesellschaft einigermaßen sicher sind, zeigen sich willens und imstande, aus freien Stücken
     etwas miteinander anzufangen. Der Sozialstaat schafft diese Voraussetzungen, die Bürger nutzen sie, erfüllen das staatliche
     Gerüst mit Leben und entbinden die Administration von Fürsorge- und Aufsichtsfunktionen im

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