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Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Engler
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Arbeiter machen will, nachdem man erst eine Frage aus ihm gemacht hat. Er
     befindet sich viel zu gut, um nicht Schritt für Schritt mehr zu fragen, unbescheidner zu fragen … Man hat den Arbeiter militärtüchtig
     gemacht, man hat ihm das Coalitions-Recht, das politische Stimmrecht gegeben: was Wunder, wenn der Arbeiter seine Existenz
     heute bereits als Nothstand (moralisch ausgedrückt als UNRECHT –) empfindet? Aber was WILL man? nochmals gefragt. Will man
     einen Zweck, so muss man auch die Mittel wollen: will man Sklaven, so ist man ein NARR, wenn man sie zu Herrn erzieht. –« 325
    § 38 Gerechtfertigte Unterschiede
    1. Die Ablösung der Gerechtigkeit von der Gleichheit und ihre Anbindung an Anstand, Achtung und Respekt bedeuten einen Kniefall
     vor der Ungleichheit. »Müssen wir uns mit einer Gesellschaftsordnung abfinden, in der alle Hoffnungen auf mehr Gleichheit
     gescheitert sind«, fragt einer in gebeugter Haltung und sagt »nein.« Die Gleichheit muß nur »neu verstanden werden«. Es gilt
     ein Ich zu fördern, das über genügend Selbstachtung verfügt, um »soziale Unterschiede positiv zu würdigen«. 326 Was bei Nietzsche noch Teil eines provozierenden Programms zur Umwertung der Werte war, verkommt zu einer abgeschmackten
     Pflichtübung. Darin erfüllt die »Selbstachtung« die Doppelfunktion von Skalpell und Nadel. Wer sich selbst ausreichend Achtung
     entgegenbringt, schneidet sich vom neidvollen Vergleichen ab, vernäht die Wunde und bestreicht sie mit dem Balsam positiv
     erlebter Ungleichheit. Nach geglückter |289| Operation versteht er die Gleichheit »neu«, als Gleichheit von Menschen, die sich UNGEACHTET achten, ungeachtet nämlich der
     unter ihnen sich ausbreitenden Ungleichheit.
    Die Verlogenheit des Arguments wird durch das »Angebot« noch überboten, das die Wohlhabenden den Armen für deren Lernbereitschaft
     unterbreiten. Sie erklären sich bereit, etwas von ihrer guten Arbeit abzugeben. Die Beschenkten bezeigen ihre Dankbarkeit,
     indem sie soziale Verantwortung entwickeln und sich um die lokale Umwelt sorgen; ein »Lebensstil-Abkommen« der neuen, durch
     und durch vulgären Art. 327 Durch ihre unverbindliche Zusage, die eine oder andere Arbeitsstunde an Bedürftige abzutreten, kaufen sich die Inhaber guter
     und auskömmlicher Stellen von weiteren Verpflichtungen frei. Im kommoden Gefühl, daß ihre anspruchsvollen Funktionen von anderen
     kaum wahrgenommen werden können, werden sie diesen Vertrag, sollten sie ihn jemals zu Gesicht bekommen, gelassen unterzeichnen.
    2. »Gleichheit aller im Raum der Fähigkeiten«, das klingt schon besser. Bei diesem Arrangement hat nicht jeder dasselbe, aber
     jeder hat genug, um als gleichwertiger Bürger sprechen und handeln zu können. Sind diese Grundvoraussetzungen menschlicher
     Handlungsfähigkeit erfüllt, erscheinen »darüber hinausgehende Einkommensunterschiede im Prinzip unproblematisch«. 328 Sind sie das wirklich? Wie sich früher ergab (§ 31.4–5), hängt der soziale Zusammenhalt eines Gemeinwesens nicht allein von
     der Handlungsfähigkeit der einzelnen, sondern auch von der realen Möglichkeit ab, als Ebenbürtige MITEINANDER in Kontakt zu
     treten. Die soziale Korrespondenz der Lebensweisen muß gewahrt bleiben, so daß jeder und jede imstande ist, sich in die Lage
     und die Vorstellungen der anderen hineinzuversetzen.
    Die »Kreuzung der sozialen Kreise«, ein altes Thema der Soziologie, gewinnt in einer Ära rapide zunehmender Abschottung von
     Lebensformen und Lebensstilen unerwünschte Aktualität. Eine stabile Kultur der Kooperation setzt dreierlei voraus: Menschen
     ohne existentielle Ängste, |290| soziale Differenzen innerhalb der Grenzen des praktischen Gemeinsinns UND Auftrieb von unten, die Chance unterprivilegierter
     Gruppen, Armut und Unselbständigkeit zu überwinden. Alle drei Faktoren zusammen definieren das unverzichtbare Maß an Gleichheit,
     das eine gerechte Gesellschaft auf demokratischer Grundlage voraussetzt. 329 – Der gegenwärtige Diskurs über Teilhabe und Respekt, die ganze zeitgenössische Reformdebatte verletzen diese Voraussetzungen,
     ignorieren, daß alle sozialen Gruppen und nicht nur die Bessergestellten in der Lage sein sollten, an Entscheidungen über
     das, was erhaltenswert und was zu opfern ist, mitzuwirken. 330 Diese Mitwirkungsrechte, ihre Ausdehnung auf jene, die sie noch nicht oder nicht in vollem Umfang genießen, sind das einzige
     Fortschrittskriterium für

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