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Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Engler
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entgoltenen Arbeitszeit.
    5. Womöglich ist es die höhere QUALIFIKATION. Nur, was heißt hier »höher«? Das Höhere bestimmt sich gewöhnlich dadurch, daß
     es das Niedere in sich einschließt. Der Manager stünde materiell besser da als der Angelernte, weil er im Unterschied zu diesem
     ein weites Spektrum jederzeit einsetzbarer Vermögen kommandiert, weil er den Angelernten der Potenz nach in sich aufhebt.
     Gesellschaften mit ausgefeilter Arbeits- und Funktionsteilung verweisen diese Interpretation ins Reich der Schutzbehauptungen.
     Übergeordnete Positionen in der sozialen Hierarchie zeichnen sich zumeist durch dieselbe Spezialisierung aus wie untergeordnete;
     die Profilerweiterung von Berufsbildern hat diesen Trend gebremst, hier und da umgeleitet, aber nicht gebrochen. Meister gibt
     es in nahezu jedem Fach, quer durch die ganze Arbeitswelt, und hier, INNERHALB der verschiedenen Professionen, sticht das
     Argument. Menschen, |293| die dieselben oder einander verwandte Berufe ausüben, verständigen sich ohne viel Worte darüber, wer von ihnen über das umfänglichere
     Repertoire an Kenntnissen und Fähigkeiten verfügt. Insofern erläutert die »höhere Qualifikation« die »Leistung«: x leistet
     mehr als y (verdient daher auch mehr), weil er auf seinem Gebiet der fachlich Kompetenteste ist. Was auf diese Weise gerechtfertigt
     wird, sind Einkommens- und Prestigedifferenzen AUF den einzelnen Plateaus der Erwerbsgesellschaft, nicht zwischen ihnen.
    Aber vielleicht war »höher« nur ein ungeschickter Ausdruck, geht es in Wahrheit um intensivere Qualifikation, um den Umstand
     also, daß sich x länger auf seinen Beruf vorbereitet hat als y, engagierter, verzichtsbereiter. Dann hätten wir es mit einer
     Aufrechnung früherer Entbehrungen mit späteren Gratifikationen zu tun. Als sich die meisten anderen den gewohnheitsmäßigen
     Genüssen und Zerstreuungen seiner/ihrer Jahrgänge hingaben, durchlief er/sie eine harte Charakterschule, die eigene Bestimmung
     schon deutlicher im Blick. Was wäre gerechter als eine angemessene Entschädigung der aufgesparten Freuden zu gegebener Zeit?
     – Für die Logik des praktischen Sinns, der solche Erwägungen zutiefst vertraut sind, ein schwer zu widerlegendes Argument.
     Diskutieren ließe sich allenfalls über die Höhe der Entschädigung, der Anspruch selbst besteht zu Recht. Er gewinnt zusätzliche
     Plausibilität vor dem Hintergrund einer Epoche, die sich als »Wissensgesellschaft« versteht, systematische, speziell akademische
     Ausbildung und sozialen Rang in eine eineindeutige Beziehung setzt.
    CLEVERNESS ist eine weitere Umschreibung für »höhere Qualifikation«. X war klug, vor allem risikobewußt genug, sich für einen
     Beruf zu entscheiden, den seinerzeit nur wenige ergriffen; y dagegen schwamm im Strom der Zeit und lernte, was damals Mode
     war. Daß der Pionier Prämien einstreicht und nicht der Mitläufer, kann in Gesellschaften, die das Gespür für Knappheit reich
     belohnen, kaum einem Zweifel unterliegen; das ist, bleibt man im Horizont des |294| Marktes 335 , nur gerecht, Anlaß zum Kummer, nicht zur Klage: »Ich hätte mich frühzeitig in eine andere Richtung orientieren sollen!«
    6. Kommt das TALENT ins Spiel, erst das »GENIE«, hört sogar dieser Kummer auf. Qualifikationen kann man erwerben oder verpassen,
     Talente erbt man. Vor der einmaligen Veranlagung, der seltenen und kostbaren Disposition verstummt die Kritik des gesunden
     Menschenverstandes. Welches Argument, das nicht sogleich dem Neid verfällt, sollte er schon bemühen? Dieser Unterschied stammt
     direkt ab vom Adel der Natur, und wenn es hier etwas zu murren gibt, dann über die Sorglosigkeit, mit der der Begabte seine
     Mitgift hütet. Denn anders als bei der reinen NATURGABE, der respektgebietenden Statur, bei Ebenmaß und Schönheit, die in
     sich selbst vollendet sind, weiteren Zutuns, außer Pflege, nicht bedürftig, handelt es sich beim Talent um eine Anlage, die
     ausgebildet, kultiviert werden muß, um zur vollen Blüte zu gelangen. »Talent ist Interesse« (wie der Dichter etwas übertrieben
     sagt), Selbstergreifung, Selbstbefruchtung des glücklich Angelegten. Geschieht das in wünschenswertem Maße, welche Reaktion
     wäre statthafter als Bewunderung: »Daß es so etwa gibt, ich könnte das nicht!« Erntet das gereifte Talent verdienten Ruhm,
     verwandelt es den Ruhm in bare Münze, was macht es anderen streitig? Nichts. Als verkörperte Knappheit par

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