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Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Engler
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demographische Errettung.
    3. Besteht begründete Aussicht auf Heilmittel fernerer Art, auf lebensverlängernde Maßnahmen, die die Krise der Arbeitsgesellschaft
     wenn schon nicht abwenden, dann doch zumindest abfedern? Arbeit könnte sachlich wieder zu Ehren kommen, »Arbeitstätigkeit«
     werden, hoffte Dahrendorf und hofften andere mit ihm. Mehr Selbstbestimmung in der Fremdbestimmung für möglichst viele, die
Vita acitiva
IN der Arbeit, das hatten wir schon. Und auch die weitergehende Erwartung, das werktätige Leben, interessanter geworden, möchte
     seinen Gegenpol, das schauende, genießende Leben, die
Vita contemplativa
, mit erwecken, klingt vertraut. Politisch war das Projekt einer doppelten Befreiung des Menschen – in der Arbeit und ihr
     gegenüber – vor zwanzig Jahren genau so einsam wie gegenwärtig, und alle wußten es. Um sich für die vor uns liegende Zeit
     mit gehöriger Skepsis, aber auch mit dem notwendigen Stehvermögen zu wappnen, gehörte der nun schon historische Befund in
     Versalien gesetzt und eingerahmt: »Die Sehnsucht der Herrschenden, und sogar ihrer langjährigen Gegner, nach der Arbeitsgesellschaft,
     ist ja kein Zufall. Hinter ihr stecken zentrale Fragen der gesellschaftlichen Struktur. Zum Beispiel: An welchem Geländer
     entlang kann das Leben der Menschen geordnet werden, wenn die Disziplinierung durch die Organisation der Arbeit entfällt?
     Oder: Wie läßt sich die Existenzgrundlage der Menschen sichern, wenn sie nicht mehr auf der Arbeitsleistung |116| beruht? Oder: Wie kann der Staat seine über die Elementaraufgaben hinausgehenden Funktionen des Gesellschaftsvertrages lösen,
     wenn seine wichtigste Einkommensquelle versiegt? Oder auch: Wie bestimmt sich eigentlich die soziale Identität von Menschen,
     wenn sie sich nicht mehr durch ihren Beruf beschreiben können.« 104 Gründe und Gegengründe für die Überwindung des Status quo, Ausbruchs- und Beharrungsmotive, Pioniergeist und Angst, kurz,
     der vollständige Katalog der sozialen Schicksalsfragen unserer Epoche in einem Satz zusammengefaßt. Mehr gibt es, fragend
     jedenfalls, hierzu auch gegenwärtig nicht zu konstatieren.
    4. Verlorene Jahre, gleich mehrfach. Die »Herren der Arbeitsgesellschaft« stellten sich stocktaub, wenn es darum ging, eine
     positive, ermutigende Antwort auf diese Fragen auch nur zu erwägen. Ob führende Politiker oder Beamte, Repräsentanten der
     Unternehmerschaft oder hohe Gewerkschaftsfunktionäre, berufene Kommentatoren in den Massenmedien oder Direktoren maßgeblicher
     Konjunktur- und Forschungsinstitute – drohte der Offenbarungseid, kannten sie keine Differenzen mehr, weder ideologische noch
     solche des Geschlechts, leisteten sie einen Meineid nach dem anderen auf die Vollbeschäftigung und verfolgten Häretiker in
     den eigenen Reihen ebenso unerbittlich wie die vom Arbeitsglauben gänzlich Abgefallenen. Letzter Hort religiöser Hingabe in
     einer profan gewordenen Welt, versteht sich diese informelle Briderschaft als moderner Wächterstand, der zugleich mit den
     Grenzen der Arbeitsgesellschaft die Grenzen der »freiheitlichen Grundordnung« verteidigt. Wer sie überschreitet, verläßt den
     »demokratischen Sektor«, die Gemeinschaft der Gutwilligen.
    Daß diese freisinnige Gedankenpolizei ihre Stellung bis auf diese Stunde so gut wie unangefochten behauptet, ist teils ihrer
     vorzüglichen Organisation, teils ihrer gezielten Bewirtschaftung der menschlichen Ängste, teils aber auch dem Versagen ihrer
     Widersacher zuzuschreiben. Die Kritiker des Arbeitsglaubens haben sich allzu lange darauf beschränkt, die |117| Bastionen der Arbeitsgesellschaft zu erschüttern, sie in Frage zu stellen; dem Fragenkatalog einen gleich schlüssigen Katalog
     von Antworten hinzuzufügen vermochten selbst die Kühnsten bisher nicht. Sie gaben der Existenz des Menschen fraglosen Grund,
     ohne jedoch überzeugend nachzuweisen, ob und wie sich »arbeitsfreie Subsistenz« mit »sozialer Ordnung« und »methodischer Lebensführung«
     verknüpfen läßt. »Anarchie« und »Lebensdrift« sind Gespenster, die die Orthodoxie umgehen läßt, um der Mehrheit Angst und
     Abscheu vor dem Neuen einzuflößen, gewiß. Aber diese Lemuren verrichten ihre Mission seit langem, rufen archaische Ängste
     zu Hilfe, um sich unerkannt im Innersten des Menschen einzunisten, in seiner psychisch-seelischen Apparatur. Lähmungsabsicht
     und Lähmungswirkung dieser geschickt getarnten Operation sind nicht zu

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