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Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Engler
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Grundeinkommen beglücken, daß ihnen, entsprechende Primärbezüge vorausgesetzt, zu Steuerabzügen verhilft, die sie ohne das
     »Geschenk« niemals erleiden müßten? Der zweite Einwand läuft letztlich auf einen prinzipiellen Vorbehalt gegen staatliche
     Umverteilung hinaus und kann hier, wo es um Begründungen zugunsten derselben geht, vernachlässigt werden. Bleiben also Umverteilungsvolumen
     und formelle Umständlichkeit des Verfahrens. So bedenklich sie aus finanz- und verfahrenstechnischer Sicht auch erscheinen
     mögen – sie erkaufen einen großen Gewinn, ein kulturelles Surplus, das allein der Sozialdividende gehört. Jeder und jede erhalten
     das Grundeinkommen, wodurch sie, unabhängig von ihrer Rolle und Funktion im System der gesellschaftlichen Arbeitsteilung,
     als Bürger, ja als |126| Menschen Anerkennung finden, ihr gemeinsames Fundament als gleichberechtigte und gleich bedürftige Individuen ANSCHAULICH
     erfahren. Ein Blick auf den Lohn- bzw. Gehaltszettel genügt mir, um zu verstehen, was ich bin und bleibe, ein Leben lang,
     auch dann, wenn ich aus meinem Arbeitsverhältnis ausscheide: ein Wesen mit fraglos anerkannten Bedürfnissen, mit einer gesichterten
     STELLUNG in der Welt, unabhängig von der STELLE, die ich vielleicht sonst noch innehabe. Allein die Sozialdividende überzeugt
     mich sinnlich-konkret von meinem Dasein als immer schon respektiertem Glied des Gemeinwesens. Sie und nur sie sagt mir: du
     kannst in deinem Beruf herbe Fehlschläge und Enttäuschungen erleiden, womöglich ökonomisch scheitern, und das kann dazu führen,
     daß du auch in deinen eigenen Augen scheiterst: Du scheiterst gleichwohl nie sozial. Als Mitglied der Gemeinschaft, als Mitbewohner
     dieser Erde bist du unangefochten.
    Dagegen geht die negative Einkommenssteuer vom Primat der Erwerbsarbeit aus, deren allzu schmalen Ertrag sie gegebenenfalls
     zum Fixum hin ergänzt. Als »einkommensabhängiges Programm« 113 erlöst sie den Bürger von Überlebensängsten, kettet ihn aber nach wie vor an das Idealbild des arbeitenden Menschen, des
     Arbeiters. In der Philosophie der negativen Einkommenssteuer füllt der »Bürger« den »Arbeiter« bei Bedarf zum »ganzen Menschen«
     auf. Dagegen stellt die Sozialdividende den Arbeiter auf den Sockel des Bürgers, des Menschen mit seinen unveräußerlichen
     Rechten; Rechte, die aus nichts anderem folgen als aus seinem Hineingeborenwerden in die Welt. Damit durchbricht sie die Schranken
     der Arbeitsgesellschaft noch innerhalb ihrer praktischen Vorherrschaft, korrigiert sie deren falsche, verrückte Anthropologie.
     Nur das Bürgergeld der Sozialdividende ist Bürgergeld im universell menschlichen Sinn, wirklich GRUNDeinkommen und zugleich
     Grundstein einer Gesellschaft, in der der Hunger direkt zum Essen führt. Nur in dieser konsequenten Form emanzipiert |127| sich das Projekt arbeitsfreier Subsistenz von seiner zwieschlächtigen Vorgeschichte. 114
    3. Seit der Französischen Revolution ein Thema von eher sporadischer Natur, eroberte die Grundsicherung in den frühen 1960er
     Jahren die öffentliche Meinung in den fortgeschrittenen Industriegesellschaften des Westens, mit besonderer Eindringlichkeit
     in den Vereinigten Staaten, der wirtschaftlich leistungsfähigsten Nation dieser Zeit. An der Pforte zur dritten industriellen
     Revolution zogen renommierte Ökonomen und Sozialwissenschaftler die herrschende Doktrin vom Gleichklang von Produktivität,
     Wachstum und Beschäftigung prinzipiell in Zweifel. Ein neuer Produktivitätsschub würde mehr Arbeitsplätze vernichten als begründen,
     der dadurch ausgelöste Kaufkraftschwund den Absatz hemmen und weiteres Wachstum gefährden. Die traditionelle Verknüpfung von
     Einkommen und Arbeit aufzulösen erschien als einzig erfolgversprechende Methode, um die sich abzeichnende Systemkrise abzuwenden.
     Wer nicht arbeitete, mußte trotzdem Geld erhalten, KONSUMGELD statt Arbeitsgeld, ansonsten stockte der Reproduktionsprozeß
     an seiner empfindlichsten Stelle, der Realisierung des Produzierten am Markt (§ 43.8).
    Das war ein funktionalistisches Argument, das emanzipatorische Bedeutung gewinnen konnte, aber nicht mußte. Für den Ökonomen
     Robert Theobald gehörte beides zusammen, war »das garantierte Mindesteinkommen die Umsetzung einer immer wieder in der Geschichte
     auftauchenden philosophischen Grundidee, daß nämlich jedes Individuum ein Anrecht auf einen Anteil an den Gütern einer Gesellschaft
     hat«. 115

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