Buerger, ohne Arbeit
Sein Kollege Milton Friedman betrachtete die Angelegenheit weit abgeklärter. Er sprach sich zugunsten des Mindesteinkommens
aus, weil es den Verwaltungsaufwand durch die Pauschalisierung zahlloser Sonderleistungen spürbar rationalisierte, und band
seine Fürsprache an die Bedingung, daß es sich um ein geringes Fixum handeln müßte. Der Mensch, der es empfing, sollte |128| zusätzlicher Arbeit gegenüber aufgeschlossen, weil ihrer bedürftig sein. Beide Positionen bezeichneten die Ambivalenz des
Bürgergeldes mit wünschenswerter Klarheit: auskömmliches Einkommen vs. existentielles Minimum, Humanisierung vs. Rationalisierung
von Wirtschaft und Gesellschaft. – Im ganzen war es eine Periode der Zuversicht, der optimistischen Prognosen. Die Vereinigten
Staaten im Jahr 2000, das verhieß eine Verdreifachung des Pro-Kopf-Einkommens, eine jährliche individuelle Arbeitszeit von
wenig mehr als 1000 Stunden, 13 Wochen Urlaub im Jahr, flexible Arbeitsrhythmen bei hoher Zeitsouveränität der einzelnen. 116 In diesem Klima unterzeichneten 1000 US-amerikanische Ökonomen im Jahr 1968 eine Resolution an den Kongreß. Ihr zufolge sollten
sich künftige Systeme der sozialen Sicherung an vier Leitlinien orientieren: a) staatliche Unterstützung für jeden Geringverdienenden
und nicht nur für bestimmte Gruppen wie Kriegsveteranen, Alte oder alleinerziehende Mütter, b) einzige Bemessungsgrundlage
der Zuweisungen sind Größe und Zusammensetzung der Familie bzw. des Haushalts, c) die öffentliche Hilfe erfolgt in Geld- und
nicht in Sachleistungen, d) zusätzliche Arbeitseinkommen werden nur teilweise von der Transferzahlung abgezogen. 117
Das war nicht wirklich radikal gedacht, lief auf negative Einkommenssteuer hinaus, bedeutete zur damaligen Zeit aber doch
einen Aufbruch zu neuen Horizonten. Zeit- und sinngleiche Überlegungen in Deutschland, von Ökonomen wie Wolfgang Engels oder
Politikern wie Kurt Biedenkopf angestellt, unterstreichen diese progressive Stimmung. 118 Schon 1967, noch vor der Denkschrift der Ökonomen, hatte Präsident Johnson eine Kommission zu diesem Thema einberufen. Ihr
Bericht, zwei Jahre darauf vorgelegt, empfahl das Mindesteinkommen als »Einkommensbeihilfe für alle Bedürftigen«. Obwohl die
Resonanz darauf wenig ermutigend war, rief die Regierung Pilotprojekte ins Leben. Deren Erkenntniswert resümierte sich im
wesentlichen darin, daß eine |129| Grundsicherung auf soziokulturellem Mindestniveau die Arbeitsneigung der Empfänger nicht nennenswert schwächt. Darauf gestützt,
erarbeitete die Administration unter Johnsons Nachfolger, Nixon, 1969 einen Gesetzesentwurf, der nach langwieriger Debatte
1972 endgültig, wenngleich mit nur knapper Mehrheit vom Parlament verworfen wurde. Man kehrte zur alten »Handicapologie« zurück
und bewilligte die negative Einkommenssteuer lediglich für Alte, Blinde und Behinderte. Die Formel für alle anderen Bedürftigen
heißt seither »Workfare statt Welfare«, arbeiten gehen statt abkassieren. Sie bindet jedwede Unterstützung an vorherige Arbeitsleistung,
befristet die Bezugsdauer und streicht die Bezüge, wenn der oder die Betreffende die Gegenleistung nicht erbringt. Zu einem
letzten Aufbäumen der Weiterdrängenden kam es bei der Präsidentschaftswahl 1972. Nixons Gegenkandidat, der Demokrat McGovern,
versprach im Falle seiner Wahl die Einführung einer
credit income tax
, eine Zahlung von 1000 Dollar pro Kopf und Jahr, die nach dem Modell der Sozialdividende mit der Steuerschuld verrechnet
werden sollte. Er verlor die Wahl. Was nun heraufzog und für Jahrzehnte konkurrenzlos herrschte, war die neoliberale Doktrin:
ausgeglichener Haushalt, Druck auf die Sozialabgaben, keine staatliche Umverteilung zugunsten arbeitsfähiger Armer, kein Kredit
für Kommunen mit »sozialen Ambitionen«, unbedingter Vorrang des Marktes, auf ihn fixierter Freiheitsbegriff. Daß zum »freien«
Markt die freie Entscheidung gehören könnte, am Marktgeschehen teilzunehmen oder nicht, galt hinfort nur noch als abstruser
Irrwitz.
4. Auf die Herstellung gerade dieser Freiheit zielt das Bürgergeld in seiner utopischen Variante. 119 Und aus diesem Grund zieht es Kritiker geradezu magisch an. Die Teilnahme am Erwerbsleben, am Arbeitsmarkt, gänzlich ins
Belieben der Individuen zu stellen ist ein zutiefst beunruhigender Gedanke selbst für jene, die Freiheit und Autonomie in
anderen als Marktbegriffen denken können. Eine ebenso
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