Buerger, ohne Arbeit
bewegen müssen, wie kaum ein anderes
Denkmodell. 137 Das erste und umfänglichste Aktivitätsfeld, schreibt er in seiner
Nikomachischen Ethik
138 , umfaßt die unterschiedlichsten Arten des HERVORBRINGENS. Hervorbringen ist ein praktisches Können, das sich am Gegenstand
bewährt und etwas sachlich von ihn Unterschiedenes, sinnlich Greifbares, hinterläßt. Auf der nächsten Ebene siedelt Aristoteles
das HANDELN an. Es ist ein soziales Können, das sich im Verein mit anderen, Gleichgestellten oder Gleichgesinnten bewährt
und auf die ethische Selbstvervollkommnung des Menschen zielt. »Das Hervorbringen hat ein Endziel außerhalb seiner selbst,
beim Handeln aber kann dies nicht so sein, denn wertvolles Handeln ist selbst Endziel.« Die dritte Ebene gehört der TÄTIGKEIT,
dem geistigen Können, das sich an (philosophischen) Problemen schult, seine höchste Ausformung im interessanten Umgang mit
sich selbst findet, in der intellektuellen Autarkie, und daher anderer Menschen nicht notwendigerweise bedarf. Der Weise,
der von seiner Muße gehaltvoll Gebrauch macht – das ist Aristoteles’ Idealbild des aktiven Menschen: »Vielleicht gelingt es
noch besser, wenn er Freunde hat, die mitwirken, aber gleichwohl wäre er der Unabhängigste.«
3. Das Zeitbedingte, Vergängliche an dieser Klassifikation ist offensichtlich: Der Steigerungslauf der Aktivitäten zur Vergeistigung
hin, zu intellektueller Schau und Einkehr; |146| die Geringschätzung des Hervorbringens – Domäne der Unfreien, der »lebendigen Werkzeuge«; die Ausrichtung des Handelns auf
die persönliche Perfektionierung bei gleichzeitiger Abwertung seines sozialen Impetus, der gemeinschaftlichen Sorge um das
öffentliche Wohl, die noch zwei Generationen zuvor, zu Perikles’ Regierungszeiten, in höchster Würde stand.
Am dauerhaften Erkenntniswert des Konzepts ändert das nur wenig. Das neue kulturelle Modell, das wir entwickeln und einüben
müssen, um auch habituell über die Grenzen der Lohnarbeitsgesellschaft hinauszugelangen, könnte gar nicht besser beschrieben
werden als in den Begriffen des großen Philosophen. Wer vom Hervorbringen abgeschnitten wird, für den hängt alles an der Möglichkeit,
auch jenseits dieser Sphäre ein erfülltes Dasein zu führen – als Handelnder gemeinsam mit anderen, als Tätiger mit und für
sich selbst. Die Handlungs- und Tätigkeitsimpulse von Menschen zu bewahren, ja zu kräftigen, die der Arbeitsprozeß ausscheidet
– das ist die alles Wesentliche einschließende Kurzfassung der neuen kulturellen Weltformel und umreißt zugleich den nächsten
Schritt, den UNSERE Gemeinwesen gehen müssen, sollen nicht ungezählte Menschen in Selbstzweifel und Apathie verharren. Die
Entflechtung der Praxisformen zu dem Zweck, ihre Eigenart frühzeitig ins allgemeine Bewußtsein zu rücken, ist die einzige
Bildungsidee, die unsere Epoche begeistern kann. Sofern sie sich durch Bildung noch begeistern läßt, ist man geneigt in einer
Zeit hinzuzufügen, die Bildung gern auf Kenntnis, Wissen, geistige Algorithmen reduziert, von ihr als solcher jedoch kaum
Notiz zu nehmen scheint. Bildung ist keine Kopfgeburt, schon gar nicht steckt sie in der Ratio; als Prozeß der subjektiven
Aneignung der objektiven Kultur meint und fordert sie den ganzen Menschen, Herz, Muskel, Nerv, Gehirn und Seele. Endet, Freunde
der »Wissensgesellschaft«, euren fleischlosen Diskurs!
4. Entflechtung, eigenständige Profilierung der Praxisformen |147| als epochale Bildungsidee – mit Aristoteles und über ihn hinaus. Von der Arbeit, dem Hervorbringen sagt er Wesentliches aus:
Sachverhaftung, Stoffwechsel mit der Natur unter fremdem, herrschaftlichem Willen, und auch vom Handeln weiß er den Grundzug
anzugeben: die Unentbehrlichkeit der anderen. Dem fügten Spätere die Unvorhersehbarkeit und Unwiderruflichkeit hinzu. Miteinander
handelnd, setzen Menschen neue soziale Tatsachen in die Welt, für die sie einstehen müssen. 139 Handeln, in diesem komplexen Sinn, ist Geselligkeit in praktischer Absicht, kein sozialer Monolog heroischer oder berechnender
Individuen. Wäre es, wie Hegel meinte, das Erkennungszeichen herausragender einzelner 140 , was könnten wir Gewöhnlichen schon miteinander unternehmen, wäre es, Max Weber folgend, nur eine Spielart ökonomischen Kalküls 141 , was könnte uns dazu begeistern? Nur verhält es sich nicht so. Selbst berufliches Handeln ist heute in vielen Fällen mehr
als
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