Bufo & Spallanzani
weggeritten«, sagte Juliana eine Viertelstunde später. Aber gleich darauf tauchten Carlos und der Einsiedler auf, sie kamen von den Pferdeställen. Sie unterhielten sich, oder vielmehr, Carlos redete und der Einsiedler hörte zu.
Von Staub und Matsch verdreckt kamen sie in dramatischem Auftritt auf die Terrasse.
»Wir haben die Pferde versorgt«, sagte Carlos. »Wir sind die ganze Nacht geritten, sie waren erschöpft.«
Keiner antwortete. Carlos biß sich auf die Lippen. Zum erstenmal fiel mir auf, daß er vollkommen bartlos war, wie ein Indianer, sofern es einen so hellhäutigen und feingliedrigen Indianer überhaupt geben konnte; obwohl er die ganze Nacht geritten war, hatte er nicht eine einzige Bartstoppel im Gesicht. Schließlich brach Juliana das Schweigen.
»Regnet es?« Eine unmotivierte Frage, denn draußen schien die Sonne.
»Ja, oben auf dem Berg«, sagte Carlos.
»Da regnet es viel«, sagte der Einsiedler. Er hatte eine tiefe, rauhe Stimme und sprach abgehackt, wie jemand, der nicht gewohnt ist zu sprechen.
Neuerliches Schweigen.
»Sagen Sie es ihnen«, sagte Carlos. Aus seiner Stimme klang düsterer Schmerz.
Der Einsiedler kratzte sich am Bart.
»Los«, sagte Carlos.
»Nein«, sagte der Einsiedler. Ich hatte den Eindruck, er wollte eigentlich sagen, daß er nicht wußte, wie er seine Geschichte erzählen sollte.
»Abgesehen davon, daß er jede Woche herkommt, um Berzabum zu bewegen, trifft er sich auch manchmal heimlich mit Dona Belinha, die in der Küche arbeitet«, sagte Carlos. Unsicher und unglücklich verstummte der blasse junge Mann.
»O Gott«, sagte Euridíce. Ein leises Aufschluchzen kam aus ihrer Kehle.
Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich Trottel! Ich hatte sämtliche Teile des Puzzles in der Hand gehabt und es nicht geschafft, sie zusammenzusetzen. Jetzt begriff ich alles. Ich wußte, wer Maria war, die Frau aus der Geschichte, die Suzy mir an dem Tag, an dem sie umgebracht wurde, in ihrem Bungalow erzählt hatte, und, mehr noch, ich wußte, wer Suzy ermordet hatte.
»Weiter«, sagte Guedes, der von irgendwoher aufgetaucht war. Er war der einzige ruhige Mensch auf der Terrasse.
»Dona Belinha ist nicht zu unserem Treffpunkt gekommen. Ich hab’ mein Pferd zum Trinken an den Bach Cachorro d’Água gebracht«, sagte der Einsiedler.
»Fehlt Ihrem Pferd ein Hufeisen?« fragte Guedes.
»Ja.«
»Weiter«, sagte Guedes sanft, aber Respekt gebietend.
»Dann, auf dem Rückweg, hab’ ich Geschrei aus einem Bungalow gehört. Ich bin hingeritten und hab’ nachgesehen. Da zankten sich zwei. Dann hab’ ich einen Schrei gehört. Ich bin auf die Terrasse gegangen und hab’ alles gesehen. Dann bin ich weggeritten. Das ging mich nichts an.«
»Was haben Sie gesehen?«
»Wie die Frau der anderen die Figur auf den Kopf geschlagen hat. Ich dachte nicht, daß sie die umgebracht hat. Das ging mich nichts an, ich bin weggeritten. Ich gehör’ da oben hin.«
»Das wollte ich nicht, ich schwöre, das wollte ich nicht«, murmelte Euridíce, und die Tränen liefen ihr über das Gesicht. »Sie fing an, schlecht über dich zu reden, und sagte, sie würde allen erzählen, wer du bist.«
»Das war doch völlig unwichtig«, schrie Carlos.
»Ich dachte, du wolltest nicht, daß es jemand erfährt«, sagte Euridíce weinend.
Maria-Carlos nahm Euridíce in die Arme.
»Was spielt das für eine Rolle, ob sie wissen, daß ich eine Frau bin? Ich bin eine Frau, zufrieden?« sagte Maria-Carlos mit einem zornigen Blick auf uns. Ich stellte mir vor, wie sie als Frau gekleidet, auf hohen Absätzen, die Geschmeidigkeit ihres athletischen Körpers zeigte, den ich jetzt unter der Tarnung ihrer weiten Kleidung ausmachte, wie sie die Herzen der Männer und Frauen entfachte, die sie mit ihrem »betörend eleganten Gang« vorübergehen sahen. Ich mußte an den Diadorim bei Guimarães Rosa denken, merkte aber gleich, daß außer der Verkleidung und ihren Reitkünsten keine Ähnlichkeit zwischen den beiden bestand.
Alle waren sprachlos, erregt und verwirrt, nur der Polizist Guedes nicht. Alle hatten die Geschichte bis zu einem bestimmten Punkt begriffen. Carlos war eine als Mann verkleidete Frau, und zwischen ihm, ich meine: ihr, und Suzy und Euridíce bestand, was bis dahin allen anderen nicht bekannt war, eine von Liebe und Eifersucht bestimmte Beziehung, die tödlich geendet hatte. Wir saßen mit weit aufgerissenen Augen da und hielten die Luft an. Nur ich wußte, daß Maria-Carlos versucht
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