Bufo & Spallanzani
Sache nichts zu tun habe.«
»Der andere, den sie umbringen wollen, sind Sie.«
Der Polizist ging, ohne mir zu sagen, wer diese Leute waren, die mich umbringen wollten. Aber ich wußte es. Bis dahin hatte ich geglaubt, nichts könnte mir je wieder so ein Entsetzen einflößen wie die Gefahr, erneut eingesperrt zu werden. Wann immer ich nach meiner Flucht aus dem Irrenhaus mein Versteck verließ, was selten geschah, sah ich in jedem Menschen einen Handlanger des Gesetzes, einen Feind, vor allem, wenn er einen Bart trug. Damals fürchtete ich mich ganz besonders vor Bärtigen, ich sah in ihnen Psychiater, die Elektroschocks geben konnten, Spitzel, Detektive, die mich fassen würden, Justizbeamte, Staatsanwälte, die bereit waren, mich an Ort und Stelle, mitten auf der Straße unter Anklage zu stellen. Es war die Hölle, die, wie ich meinte, unerträglichste Qual der Welt. Aber die schlimmste Marter, stellte ich an jenem Tag fest, nachdem Guedes meine Wohnung verlassen hatte, ist, zu wissen, daß es jemanden gibt, der dich umbringen will, sei es aus Haß, sei es aus Rache. Als sich der Fall Estrucho bei der Panamericana abspielte, hatte ich mich auch bedroht gefühlt, aber nicht so direkt und greifbar wie jetzt.
Was kann ein friedfertiger Mensch wie ich tun, wenn er erfährt, daß man ihn umbringen will? Der erste Gedanke, der jedem in den Kopf kommt, ist, zur Polizei zu gehen. Aber ich hatte kein Vertrauen zur Polizei, ich wollte und konnte die Polizei nicht um Hilfe bitten. Und ich glaubte auch nicht, daß Guedes ein Interesse daran hatte, mich zu schützen. Bei seinen verdrehten ethischen Vorstellungen fand er es vielleicht richtig, daß man mich umbrachte, sofern er dadurch den Mörder und vor allem den Auftraggeber fassen konnte. Damit kehre ich zu meiner Frage zurück: Was soll ein friedfertiger Mensch tun, dem man nach dem Leben trachtet? Als erstes herausfinden, wer sein Widersacher ist. Ich wußte, wer es war, auch wenn Guedes es nicht gesagt hatte. Es war Eugênio Delamare. Sein Haß auf mich mußte unermeßlich sein; bestimmt hatte er die Briefe gefunden, die ich Delfina geschrieben hatte. In diesen Briefen sprach ich nicht nur von unseren Lieblingsdichtern wie Baudelaire, Pessoa, Pound, Drummond, Auden und Bocage, ich gedachte auch all dessen, was wir im Bett gemacht hatten, verzehrende, rasend wollüstige, unverblümt schmutzige Liebesspiele, mit größter Schonungslosigkeit beschrieben; Berichte, bei denen Bataille vor Neid umkommen würde, weil nicht er sie geschrieben hatte. Ich glaube, daß Delamare die Briefe noch nicht gelesen hatte, als er, nachdem er erfahren hatte, daß ich Delfinas Geliebter war, zu mir kam und mir androhte, mich kastrieren und »wie ein Schwein verbluten« zu lassen. Wahrscheinlich hatte er sie nach Delfinas Tod gefunden. Und wenn er mir das schon antun wollte, bevor er die Briefe gesehen hatte, konnte ich mir ausmalen, was er jetzt mit mir vorhatte.
Großartig, dachte ich an jenem Tag, als der speckige Polizist Guedes bei mir gewesen war und die schlimme Nachricht überbracht hatte, der erste Schritt, meinen Henker zu identifizieren, ist bereits getan.
Anschließend konnte ich zweierlei tun:
1. Vor ihm, Delamare, die Flucht ergreifen. Leben heißt, sich zu retten wissen (vgl. Greene). Nichts anderes hatte ich in den letzten zwanzig Jahren gemacht.
2. Die Kraft, die mich bedrohte, unwirksam machen, das heißt, Eugênio Delamare den Garaus machen, ehe er mir den Garaus machte. Diese Vorstellung erfüllte mich anfangs mit einem gewissen Abscheu. Aber nachdem ich die Niedertracht von Delamares dreckigem Charakter bedacht hatte sowie den Umstand, daß er weder Kinder noch andere Verwandte besaß, denen sein Tod Schmerz zufügen konnte (was die angenehme Aussicht eröffnete, daß sein gesamtes Vermögen an den Staat fallen würde), gewöhnte ich mich an den Gedanken, ihn umzubringen, und schon bald gefiel er mir. Gefallen ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck; es war nicht so, daß sein Tod mir Freude bereitet hätte. Aber befreit hätte er mich, das war es, was ich mir durch seinen Tod erhoffte. Von der Angst befreit zu werden.
Aber auf welche Weise konnte ich Eugênio Delamare töten? Ich hatte schon einmal getötet – nur, der Totengräber war aus Versehen, durch Zufall, aus Unbeholfenheit zu Tode gekommen; in Wirklichkeit war meine Erfahrung als Mörder nicht viel wert. Delamare mit meinen eigenen Händen umbringen, ihn erwürgen? Oder ihn totschlagen? Mit einem
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