Bugatti taucht auf
schließlich eine Veneninfusion gelegt, am selben Arm ein Verbindungstubus, um den Arteriendruck zu messen, und ein Zugang zur inneren rechten Halsschlagader wurde ebenfalls gelegt.
Nachdem der Radiologe eingetroffen war, wurde das Computerencephalogramm gemacht, und die Ärzte stellten schwerwiegende Blutungen in der gesamten Hirnregion fest. Der Neurochirurg eines anderen Krankenhauses wurde hinzugezogen, dem die Aufnahmen telematisch überspielt wurden. Der Neurochirurg bat darum, eine Angiographie zu machen, um herauszufinden, woher die Blutungen im Gehirn kämen. Es war dennoch bald klar, dass es keine Möglichkeit gab, diese Blutungen durch eine Operation zu beseitigen. Sie waren zu umfangreich und zu kompliziert.
Die Intubation fand um 00.30 statt. Um 01.05 zeigte das Computerencephalogramm eine verbreiterte Blutung mit Invasion der Hirnkammern und einer Ischämie des Gehirnstammes. Die Diagnose lautete auf Gehirnblutung infolge eines Schädeltraumas. Um 10.00 Uhr am folgenden Vormittag wurde der Hirntod festgestellt, am Abend um 18.06 der Tod.
IX
Luca war ein hochaufgeschossener Junge, der auf den ersten Blick schüchtern und ungelenk wirken konnte, weil seine Gliedmaßen zu lang und zu spillerig schienen, als ob er sich im wahrsten Sinne des Wortes selber im Weg stehen würde, der diesen Eindruck aber sofort vergessen ließ, sobald er mit einem zu sprechen begann, nicht nur, weil er schnell einen Draht zu seinem Gegenüber herstellen konnte und gute Laune verbreitete, sondern auch, weil er genau wusste, was er wollte, und seine Meinungen entschieden und unaufgeregt vertrat. Er war ein Junge, wie ihn sich alle Eltern wünschen, sagte sein Vater. Ein Junge, der die Buchstaben kannte, bevor er in die Schule kam, dem das Lernen Spaß machte, der gerne lachte und spielte. Ein Junge, der Mannschaftssport nicht mochte, weil ihm der Wettbewerb nicht behagte, der Skifahren und Schwimmen mit mäßiger Leidenschaft betrieb, aber, als er alt genug war, eine gewisse Begeisterung für das Tauchen entwickelte, vor allem das Tauchen in warmen Gewässern, in denen genügend bunte, ungewöhnliche Lebewesen zu entdecken waren, um seine Phantasie zu nähren; ein Junge, der eine jüngere Schwester hatte, mit der zusammen er nacheinander drei kleine Hunde hielt, und das vor allem seiner Schwester zuliebe, denn er selber fand diese Schoßhündchen zwar ein nettes Spielzeug, aber keine ernsthafte Beschäftigung wert. Ein Junge, der die größte Leidenschaft für romanhafte Computerspiele und den magischen Verwandlungszauber mancher Rollenspiele entwickelte; ein Junge, der viele Freunde hatte, mit denen er sich zu LAN-Partys traf und lange Diskussionen darüber führte, wie die Welt zu verbessern wäre. Ein Junge, der sich nach dem Abitur entschloss, auf die Offiziersschule zu gehen, obwohl dies so gar nicht mit seinem offenherzigen und freundlichen Wesen vereinbar schien, dem jegliches Harte und Durchtrainierte zu fehlen schien, ebenso wie der Wille, auf bloße, scheinbar willkürliche, auf jeden Fall nicht zu hinterfragende Befehle hin eine unerbittliche Selbstdisziplin an den Tag zu legen. Er tat es wahrscheinlich, weil ihn der Zusammenhalt und das vermeintlich spielerische an den sportlichen Aktivitäten reizten, und brachte es dort bis zum Leutnant. Ein junger Mann also, der anschließend das Fach Politische Wissenschaften an der Uni Zürich belegte, obwohl es ihn weiter zum Militär zog, und der vorerst nicht wusste, welcher Laufbahn er sich am Ende zuwenden würde.
Valon, Ilija und Branko kannten sich von Kind an. Ihre Eltern waren als Zeitarbeiter seit Mitte der achtziger Jahre ins Tessin gekommen; die Kinder ließen sie zurück – der größeren Beweglichkeit, der besseren Anpassung und nicht zuletzt der politischen Regeln wegen –, wo sich Großeltern und der mehr oder weniger weitläufige Kreis von Verwandten um sie kümmerte. Nur Valon, der älteste der drei Freunde, wurde 1987 in Locarno geboren. Die Familien waren kroatischstämmig und kamen aus Odžak. Ein Ort in Bosnien, nur wenige Kilometer von der kroatischen Grenze entfernt, und dieser Umstand weckte Anfang der neunziger Jahre umgehend die Begehrlichkeit der serbischen Kriegsführer, die sich von den kroatischen Verbündeten helfen ließen, die Stadt zu erobern, zu plündern und ihre Bewohner zu vertreiben. Die Kroaten zogen sich 1992 offiziell zurück, nach drei weiteren Kriegsjahren wurde Odžak im Vertrag von Dayton der neuen sogenannten Entität
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