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Bugatti taucht auf

Bugatti taucht auf

Titel: Bugatti taucht auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Loher
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langgezogenen Ovals so auf den Bildschirm übertrug, dass man eine parallele obere und untere oder vordere und hintere Bahn vor sich hatte, mit einem Streifen Feld dazwischen.
    Wann immer sie diesen Sender einschalteten, und sie schalteten ihn fortan jeden Samstagnachmittag ein, wenn Jordi zu Besuch kam, herrschte auf der Pferderennbahn dunkelste Nacht; der Ausschnitt, den die Kamera zeigte, war am unteren Bildrand von einem Flutlichtscheinwerfer erhellt, die obere Bahn blieb im Halb- oder Fastdunkel. Es gelang ihnen nicht – sie bemühten sich allerdings auch nicht sonderlich –, herauszufinden, an welchem Ort der Welt sich die Rennbahn befand. Die Stimme, die das Rennen zu kommentieren schien, brachte keinen Aufschluss, denn sie verstanden die Sprache nicht, ja, sie hatten nicht einmal eine Ahnung, um welche Sprache es sich handeln könnte. Es war selbst schwierig zu sagen, um welche Art von Rennen es ging, denn wann immer sie einschalteten, hatte das Rennen schon begonnen, so dass sie nie den Start miterlebten und das ganze Feld zu Gesicht bekamen, solange es noch zusammen war. Sie wussten auch nicht, ob das Rennen bei Tageslicht gestartet worden war und bis in die Nacht dauerte oder für das Gros des Feldes schon beendet war und man aus antiquierten Regeln oder Gründen der Fairness auf einen oder mehrere Nachzügler wartete oder warten musste, oder ob es sich grundsätzlich, also traditionell, um ein Nachtrennen handelte und vielleicht wegen der extrem schlechten Beleuchtung die Teilnehmer in großen Abständen nacheinander starten mussten oder gar, um Unfälle auszuschließen, einzeln und unabhängig voneinander.
    Die längste Zeit saßen Umberto und Jordi also nebeneinander auf dem Sofa und betrachteten das Bild der Pferderennbahn. Hin und wieder sagte die Stimme des Kommentators etwas in einer fremden Sprache; was die Stimme sagte, stand anscheinend nicht in Beziehung zu irgendetwas, das auf dem Bildschirm zu sehen gewesen wäre, das heißt, die spärlichen Kommentare deuteten nicht darauf hin, dass gerade eben etwas passiert war oder sich in naher Zukunft etwas auf dem Bild verändern würde. Unabhängig davon tauchte in sehr großen und unregelmäßigen Abständen ein Reiter auf; er erschien links auf der unteren Bahn, trabte durch das Bild und verschwand rechts wieder. Irgendwann würde er dann rechts auf der oberen Bahn wieder auftauchen, aber wann das sein würde, war ebenso ungewiss zu beantworten wie die Frage, wann der nächste Reiter unten links kommen würde. Es konnte auch geschehen, dass es kein Reiter war, der ins Bild kam, sondern ein Sulky, und manchmal passierte beides, während sie zusahen, obwohl sich sonst nichts an den Ausgangsbedingungen geändert hatte, was zu der Frage führte, ob zwei verschiedene Disziplinen gleichzeitig auf der Bahn ausgetragen wurden; das erschien praktisch immerhin möglich, weil durch die ungewöhnlich großen, manchmal Stunden betragenden Abstände zwischen dem Auftauchen der einzelnen Teilnehmer sich die Annahme aufdrängte, dass die Kapazität der Bahn als Ganze nicht ausgelastet sein könnte. Am Ende wäre es sogar denkbar, dass es ein und derselbe Jockey war, der mal auf einem Pferd saß, das andere Mal im Sulky, ein einziger Jockey, der in jeder Disziplin gegen sich selbst antrat, und das Nacht für Nacht.
    Weil die Kamera nur die eine feste Einstellung auf die Bahn kannte, auf die sie panoramaartig ohne Zoom und ohne Schwenks ausgerichtet blieb, waren sowohl die Bahnen als auch die Rennteilnehmer ziemlich klein, der Jockey auf dem Rücken des Pferdes winzig wie ein Kinderdaumen, die Sulkys erreichten nicht annähernd die Größe einer Streichholzschachtel, und das alles bei unzureichender nächtlicher Beleuchtung; es gelang kaum, die galoppierenden Beine des Pferdes auszumachen, so dass es eher schien, als schwebte hin und wieder ein Geisterpferd von links nach rechts durch einen kaum erhellten Traum. Dazwischen sprach eine kehlige Stimme wunderbare zögernde Worte einer sehr fernen Sprache.
    Sie nannten es Nachtrennen. Umberto wurde vollkommen ruhig, sobald sie eine Weile Nachtrennen gesehen hatten. Beide waren insgeheim erleichtert, jeder auf seine Weise. Sie mussten nicht miteinander sprechen, sie waren trotzdem zusammen, Erleichterung, einer von beiden holte zwischendurch Bier, sie warteten darauf, dass etwas passierte und dass dieses Etwas sehr lange dauerte und dann, wenn es passierte, vollkommen unspektakulär vorübergehen würde –

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