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Bugatti taucht auf

Bugatti taucht auf

Titel: Bugatti taucht auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Loher
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schaltete den Kompressor ein und ließ den Sauger die nächste Stunde seine Arbeit verrichten, während er in der Stadt seine Einkäufe machte oder mit Patrizia zu Abend aß.
    Manchmal blieb er auch vor dem Monitor sitzen und starrte auf das fast immer unveränderte Bild darauf: das Rohr mit den geknickten Haltegriffen an seinem Ende sah aus wie ein Mann, der die Arme mit spitzen Ellbogen in die Hüfte stemmte.

24
    Sie parkten in der Einfahrt. Es war ein sonniger, eiskalter Spätnachmittag Ende April. Dani machte die hintere Autotür auf und ließ das Kind aussteigen. Obwohl es nur ein kurzer Weg war bis ins Haus, wurde der Reißverschluss am Mantel des Kindes geschlossen, es bekam eine Mütze aufgesetzt, Schal und Handschuhe wurden ihm angezogen, und als sie fertig waren, war die Großmutter immer noch nicht auf der Treppe erschienen, auch die Haustür hatte sich nicht geöffnet.
    Das Grüppchen trödelte auf das Haus zu; sie benutzten den Plattenweg und liefen nicht quer über den Rasen; der Plattenweg führte am Schlafzimmer vorbei, am Bad vorbei zu den drei Treppenstufen vor der Haustür. Die drei kamen nicht weiter als bis zum Schlafzimmerfenster. Die Vorhänge waren nicht zugezogen, damit das Licht des Frühlingstages so lange wie möglich hereinfiel; Manuel blieb stehen, wandte den Kopf hin und konnte ihn nicht mehr abwenden. Dani tat es ihm nach, und das Kind stand ratlos zwischen beiden, reichte mit den Augen bis zum Fensterbrett und starrte den Sims an.
    Manuel sah seinen Vater im Bett liegen, bis zur Hüfte zugedeckt mit einer bunt-karierten Wolldecke, das Federbett hing zurückgeschlagen über das Fußende. Der Vater lag auf dem Rücken und schlief. Der Vater schlief mit halb offenem Mund, man hörte keinen Laut, aber Manuel konnte erkennen, wie der Brustkorb sich sehr langsam hob und senkte. Das Profil des Vaters zeichnete sich trocken und knochig ab wie ein Gebirgszug, mit Augentälern, Mundbächen und Wangenwiesen. Sein Haar war glatt wie immer, aber nicht mehr glänzend schwarz, sondern graphitfarben und stumpf. Seine Haut schien gelblich und aufgerauht.
    Lange Zeit sah Manuel auf seinen Vater und es kam ihm so vor, als würde sich der Rhythmus der schlafenden Atemzüge auf ihn, Manuel, übertragen und ihn selbst zum Schlafen bringen. Als könnte er den Schlaf seines Vaters garantieren, indem er synchron mit ihm ein- und ausatmete, genauso langsam, als ob keine Zeit ihm jemals fehlen würde, als ob sie ewig reichen würde, langsam, langsam, und solange der Sohn seinen Atemwechsel, ein, aus, teilte, würde der Vater nicht aufwachen und bräuchte sich nicht gestört zu fühlen oder bedrängt durch die Zumutungen des Wachseins. Und Dani stand neben ihm, Dani stand neben Manuel am linken Rand des Fensters; nie hatte sie ihren Schwiegervater ohne Aufregung betrachten können, stets waren Herzschläge von Aufruhr und Angst zwischen ihnen gewesen, und Atemstöße der Hoffnung auch, wenn auch wenige. Dani wäre gerne hineingegangen, sie wäre gerne in dieses fremde Zimmer hineingegangen, hätte sich an das fremde Bett gesetzt, hätte ihren Schwiegervater in die Arme genommen und ihn geküsst womöglich, einmal nur, einmal nur, so fest es ihr gelänge, und ihm gesagt, dass sie ihn leiden konnte, nicht mehr, nicht weniger, nur das, weiter nichts, aber da war das Fenster, da war die Tür, und da war Manuel, der unbewegliche. Manuel, der unbewegliche, der seinen Vater ansah mit einer sachlichen Aufmerksamkeit, aha, so also sieht mein Vater aus, hatte ich ganz und gar vergessen, zwischendurch, aber nun erinnere ich mich, ich werde erinnert, die Erinnerung ist nicht unangenehm, sie ist auch nicht angenehm, sie ist ein handwarmes Wasser, das ich über meinen Körper laufen spüre, ohne Erregung – sachlich war Manuels Blick, und kein Mensch konnte wissen, was er gerade dachte. Meinte Dani. Sie wollte ihn in die Seite stupsen; Manuel fing ihren Blick auf, deutete ihn nicht, fragte stattdessen das Kind, »willst du deinen Großvater sehen«, das Kind zuckte die Schultern, gleich darauf nickte es verlegen, und Manuel hob es hoch und zeigte ihm den schlafenden Mann im Bett unter der karierten Wolldecke.
    Weiter kamen sie nicht. Sie kamen nicht die Treppe hinauf, bis zur Tür und zur Klingel. Sie kamen nicht dazu, an die Tür zu klopfen; sie klopften auch nicht ans Fenster, das sowieso hätten sie nie getan. Sie drehten sogar dem Fenster nach einer Weile den Rücken zu, stampften mit den Füßen auf gegen die Kälte,

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