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Bugatti taucht auf

Bugatti taucht auf

Titel: Bugatti taucht auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Loher
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besaß ungefähr ein Dia von jedem Seepferdchen zwischen hier und dem Barrier Reef in Australien; Piero sollte ihre Arbeit mit seiner Unterwasserkamera dokumentieren. Ladislas und Jordi kannten sich noch aus der Schule, Ladislas war der Sohn eines Landwirtes und betrieb mit seiner Frau eine Frühstückspension in Brissago; und Berta war Chirurgin im Krankenhaus von Locarno. Sie wohnten alle in der Nähe.

17
    Auf den Fotos, die Jordi bei seinem Tauchgang von dem vermeintlichen Wrack gemacht hatte, war nichts zu sehen außer einer Nabe, und vage zeichneten sich unter dem verkrusteten Schlamm die Umrisse von Speichen ab. Es war auch von einem Taucher unter Wasser nicht mehr zu erkennen oder zu ertasten als eine Nabe und ein paar stabförmige Erhöhungen, die unter Umständen auf die Existenz von Speichen hindeuten könnten. Durch nichts war zu beweisen, dass diese Nabe und die ungefähren Speichen zu einem Autorad gehörten, weder zu einem alten noch zu einem neuen. Durch nichts war zu beweisen, dass diese Nabe zu mehr als einem Haufen verrosteten Stahls gehörte, und noch weniger, dass die Nabe Teil von etwas Wertvollem, Interessantem, gar Bergenswertem war. Er aber musste sie davon überzeugen, dass genau dies der Fall war, dass die Nabe nicht nur irgendeine Nabe womöglich eines weggeworfenen Fahrrads, einer Wäsche- oder Kabeltrommel war, sondern seltenes Indiz eines alten ungewöhnlichen Fahrzeuges, und dass sie genau dieses Fahrzeug ausgraben und bergen mussten.
    Was, wenn die Nabe nichts als der Ausgangspunkt, der Zuspitzungspunkt einer durch Jahrzehnte überlieferten, aber inzwischen längst hinfälligen Geschichte war; einer Geschichte, die sich im Laufe der Zeit verselbständigt hatte und abenteuerliche, phantastische Züge angenommen hatte; was, wenn die Nabe nichts weiter war und zu nichts anderem taugen würde und je getaugt hatte als zum Köder für Taucher, deren Tauchgang ein Ziel brauchte und deren Phantasie entzündet werden wollte?
    Er musste sie davon überzeugen, dass die Geschichte, die man sich über das Auto erzählte, wahr war, und dass sie diejenigen sein würden, die die Wahrheit der Geschichte nach 72 Jahren ans Licht holten, die der Nabe damit eine weitere Geschichte hinzufügten und sie vielleicht sogar ins Unendliche verlängerten.
    Berta meinte, die alten Bugattis aus den zwanziger und dreißiger Jahren, diese blauen Rennwagen, der 35er vor allem, das seien so ziemlich die schönsten Autos, die jemals gebaut worden seien. Und man müsse sich wundern, wie die zierlichen und fragilen Gefährte jene wilden und waghalsigen Rennen auf derart halsbrecherischen Pisten wie zum Beispiel der Targa Florio in Sizilien oder der Mellaha-Rundstrecke beim Grand Prix von Tripolis überstanden hätten, nicht nur ohne auseinanderzufallen, sondern in selbst für heutige Fahrgewohnheiten rasender Geschwindigkeit. Und sie fügte hinzu, dass der erwähnte Typ 35 imstande war, mit 200 Stundenkilometern dahinzuschießen.
    Die anderen hielten dagegen: »Aber wozu das alles? Was sollen wir mit dem Ding machen? Wer wird etwas damit anfangen können?«
    Jordi holte Luft. Es wird das Auto von Luca sein. Ihm werden wir es widmen. Ein ertränktes, versenktes Auto für einen erschlagenen, zu Tode getretenen Jungen. Nichts weiter? Nichts weiter. Und dafür der ganze Aufwand? Dafür der ganze Aufwand.
    Und wenn es schiefgeht? Wenn es schiefgeht, war es umsonst. Lachen werden sie über uns. Lustig machen werden sie sich. Kann sein. Glück werden wir brauchen. Einen Versuch ist es wert, allemal. Allemal.

18
    Jordi stand jeden Morgen vor Sonnenaufgang auf. Jeden Morgen vor Sonnenaufgang. Das konnte im Winter um 7.30 sein, im Sommer um 5.00 oder noch früher. Er stand auf, wenn es noch dunkel war, um zu sehen, wie das Licht in die Welt trat. Genau so wichtig nahm er das. Kein Tag sollte vergehen, keinen Tag wollte er erleben müssen, der angebrochen war, ohne dass er dabei war. So wichtig nahm er das. Nur wenige Male bisher hatte er den Tagesanbruch versäumt, und diese Tage konnte er einzeln herzählen, Datum, mit Begründung des Versäumnisses. Er versuchte, deshalb nicht nachtragend mit sich selber zu sein, aber er musste zugeben, dass die Schwäche, die ein paar Mal daran beteiligt war, dass er den Anbruch des Tages verpasst hatte – wenn sie seine eigene Schwäche war –, ihn lange wurmte und er sich schwer vergeben konnte.
    Manchmal hatte er das Gefühl, dass sein Leben zerfaserte. Er versuchte es zusammenzuhalten,

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