Bugschuß
Ulferts.
»Ja, genau«, bestätigte Bakker.
»Das ist immerhin ein Anhaltspunkt. Aber warum sagen sie ›angeblich‹?
»Ich weiß nicht, ich hatte das Gefühl, die gute Frau war sich selbst nicht ganz sicher, ob das, was sie wiedergab, so stimmt. Wahrscheinlich ging sie einfach davon aus, man könnte nichts anderes vorhaben, als auf die Pirsch zu gehen, wenn man mit einem Gewehr loszieht.«
»Wir müssen den Kremers genauer unter die Lupe nehmen. Wir sollten prüfen, ob er sich schon einmal etwas hat zuschulden kommen lassen. Sonst noch etwas?«
»Da ist noch Bernward Otten, Aline Ottens Mann. Der geht manchmal angeln und ist – wie sollte es anders sein? – Jäger. Aber nur, wenn er dazu Zeit hat, wie seine Frau betonte. Schließlich hätten sie einen Hof zu bewirtschaften, und das sei in Zeiten ständig schwankender Milch-, Fleisch- und Getreidepreise und fortwährend neuer bürokratischer Regelungen aus Brüssel schwer genug.«
»Wem sagt sie das? Was ist mit Bernward Otten?«
»Er war ebenfalls unterwegs zur Tatzeit, seine Frau sagte aber – und war plötzlich sehr erregt –, er habe ihres Wissens kein Gewehr mit gehabt und wollte nur nach den Kühen sehen, die auf der Weide nahe dem Schilfstreifen am Meer stehen. Er hätte da was zu reparieren gehabt, die Tränke funktionierte nicht mehr. Die sei an einem Pfahl angebracht, so eine Schüssel mit Drucktaste, die die Kuh selbst bedienen kann, mit Schlauch zum Wasser. Und der Pfahl, der sei unten abgefault, und daher kämen die Kühe natürlich nicht mehr an die Schüssel, geschweige denn die Drucktaste …«
»Ja, ja, schon gut, Herr Bakker, die Kühe werden sicher nicht verdurstet sein. Stimmt das alles denn?«
»Keine Ahnung, ich habe Otten selbst noch nicht befragen können. Mir fiel nur auf, dass sie auswich, als es um ihren Mann ging. Sie erzählte so ausführlich von der Schüssel mit Drucktaste, dann kam sie wieder auf die Probleme der Milchbauern mit den dauernd neuen Regelungen der EU. Ich habe mich erst später gefragt, ob sie mich extra auf eine andere Spur lenken wollte.«
»Wie gesagt, Bakker, Vorsicht bei voreiligen Rückschlüssen! Weshalb sollte sie das tun?« Ulferts betrachtete den eifrigen Polizisten nachdenklich. Der hatte eher den Eindruck, als sähe sein Vorgesetzter durch ihn hindurch, als gäbe es hinter ihm etwas zu entdecken. Bakker blieb eine Antwort schuldig und Ulferts sagte: »Bleiben Sie an beiden dran, an Kremers und Otten. Hier haben wir wenigstens ein paar Anhaltspunkte. Immerhin sind die beiden oft in der Gegend unterwegs und sollten dementsprechend mitkriegen, was dort passiert. Vielleicht nutzt es was. Frau Christoffers soll noch einmal prüfen, ob alle Waffenscheine und Genehmigungen vorliegen, auch bei Otten. Wenn nötig, befragen Ihre Kollegin und Sie sie noch einmal. Nerven hilft manchmal. Und gehen Sie alle einschlägigen Informationsquellen durch. Sobald Sie mehr wissen, erbitte ich sofortigen Bericht.«
»Jawohl, Herr Kommissar«, Bakker hob scherzhaft die Hand zum militärischen Gruß an die Stirn.
Ulferts sprang auf die Vorlage an: »Wegtreten!«
Bakker drehte sich auf der Stelle um und verließ das Büro, nicht ohne »Ich melde mich« zu rufen, und, bevor sich die Tür hinter ihm schloss, hinzuzufügen: »Aber nu mutt ick erst `n Koppke Tee hebben!«
Ulferts fiel auf, dass er im Moment ziemlich allein war mit den Ermittlungen. Seine Vorgesetzte war in Kur und ihr Rat und ihre Anwesenheit fehlten ihm. Wie lange würde sie noch auf dieser Insel sein? Er sah auf den Kalender, in den er ihre Rückkehr eingetragen hatte. Zwei Wochen? Himmel, waren vier Wochen Kur nicht genug? Er hatte selbst nie eine Kur gemacht und war bald 20 Jahre in diesem Laden. Zusammen mit ihr wäre es leichter und effektiver, die Untersuchungen und Befragungen anzugehen. Sie hatten so manchen Fall gemeinsam gelöst.
Selbst Polizeipräsident Eilsen hatte in einem Nebensatz angemerkt: ›Dass Frau Itzenga noch nicht wieder einsatzfähig ist, Mann, Mann so lange auf so einer Nordseeinsel! Nichts gegen Sie, Herr Ulferts, aber ein wenig Verstärkung …‹
Ulferts hatte nickend zugestimmt: ›Lassen Sie mal, Herr Eilsen, ich sehe das genauso.‹
Der Kommissar stand auf, ging zum Schrank neben der Tür, nahm seine braune, lange nicht gespülte Kaffeetasse und goss sich ein. Der Kaffee hatte schon Stunden auf der Heizplatte der Maschine zugebracht. Ulferts verzog das Gesicht, als er den ersten Schluck nahm. Doch er trank die Tasse
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