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Buh: Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück (German Edition)

Buh: Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück (German Edition)

Titel: Buh: Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leander Haußmann
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und das Gebäck mit hochnehmen sollen, denke ich, während ich in Cambridge in einem Turmzimmer auf einem Holzschemel sitze. Im Hintergrund höre ich das Schreien der Pfauen in dem großen Garten, der den Blick auf die gepflegten Felder des englischen Landadels freigibt.
    Seine Frau hat mir den Tee und das Gebäck ja angeboten, mit einer sich mir erst jetzt erschließenden Dringlichkeit und einem warnenden Blick, der zugleich etwas zutiefst Mütterliches hatte. »Wollen Sie wirklich keinen Keks, Herr Haußmann?« Die österreichische Frau von Edward Bond, der in den Sechzigerjahren der neuen britischen Dramatikerbewegung angehörte, hatte mir den Keks hingehalten, ich hätte ihn nur zu nehmen brauchen. Ihre Augen fielen fast aus den Höhlen, so eindringlich drängte sie mir den Proviant auf. Wie eine zum Schweigen verurteilte Dienstmagd in einem englischen Gespensterfilm, die dem Opfer des blutrünstigen Lords vor seinem sicheren Tode noch ein Zeichen geben will, eine letzte sinnlose Warnung: Gehen Sie nicht mit nach oben!
    Selbst schuld also. Ich sitze in der Falle. In feinstem Oxford-English (was ja bei mir Perlen vor die Säue bedeutet) muss ich mir nun einen sehr langen Vortrag über Theatergeschichte anhören. Edward Bond beginnt in der Antike, nicht ohne vorher über die Urgesellschaft und den Urkommunismus gesprochen zu haben. Wer sich nur ein wenig auskennt, weiß, wie lange der Weg sein wird. Meine arme Dramaturgin Dimitra Petrou übersetzt. Sie setzt uns über, rudert Bond, den Fährmann, über jeden Seitenarm des Flusses historischer Momente des Theaters von Shakespeare zu Bond.
    Edward Bond, »Gerettet«: Kinder steinigen ein Baby, wegen der gesellschaftlichen Umstände. Deutsche Erstaufführung 1967, von Peter Stein, der mich gewarnt hat: »Geh nicht hin, das ist das größte Arschloch von allen.« Später besonders gern gespielt in Schauspielschulen.
    Ich könnte weinen. Mein Arsch tut mir weh, der Rücken natürlich auch – und die Neuberin hat noch nicht mal den Hans Wurst verbrannt. Scheiß doch auf die Uraufführung, denke ich, wozu brauche ich denn eine Uraufführung von Edward Bond? Nur weil der Peymann der große Uraufführungskönig in Bochum war, muss ich’s doch nicht auch sein. Außerdem hatte der Thomas Bernhard.
    Aber für Neid auf Claus Peymann habe ich jetzt keine Zeit, denn: Hunger, Durst, Sauerstoffmangel. Draußen schreien die Pfauen wie Kinder nach ihren Eltern. Der Gehen-Sie-nicht-hoch-Blick von Bonds Ehefrau drückt sich durch die Steinwand des Turmzimmers wie durch Knete. Ich trudele weg.

23 MONDLICHT
MONDLICHT
    23 »KENNEN SIE DAS?« Der hagere Mann hält einen Buchrücken direkt unter die Augen meines schwankenden Vaters.
    »Mach Platz, Junge!«, ruft mein Vater und will den Mann beiseiteschieben.
    »Staatssicherheit«, flutscht es aus den schmalen Lippen des Mannes, den wir eigentlich als stillen Zecher vom Haus gegenüber kennen.
    Das beeindruckt meinen Vater nicht. Unter den Blicken der Nachbarn hinter den Vorhängen geht er mit dem letzten Bücherstapel über die Stillerzeile, springt den Berg zur Wiese hinunter, die wir die Gummiwiese nennen, und rennt zu dem von ihm in der Nacht zuvor aufgeschichteten Scheiterhaufen. Aber die Bücher wollen nicht brennen. Die Wirkung der Elrodorm lässt auch nach, denn mein Vater ist schlaftablettensüchtig.
    »Warum wollen Sie die Bücher anzünden?«, fragt der Mann, der ihm gefolgt ist, und der natürlich weiß, dass diese Situation einer Mischung aus Verrücktwerden und Staatsfeindlichkeit entspringt.
    »Ist es verboten, seine eigenen Bücher zu verbrennen?«, schreit mein Vater den Mann an.
    Noch immer hält dieser den Buchrücken in der Hand. Als Beweisstück für das ungewöhnlichste Erlebnis seines Lebens, vorher wie nachher. »Nein, natürlich nicht«, sagt er. »Aber wer Bücher verbrennt, verbrennt auch Menschen.«
    Mein Vater steht da, mit dem Feuerzeug im Anschlag. Ein kalter Wind fegt über die Wiese. Der Vollmond gibt der Szene sein richtiges Licht und die Sterne funkeln düster. »Es ist nichts Staatsfeindliches dabei, wenn man Bücher verbrennt«, sagt mein Vater.
    »Dazu müsste man sich die Bücher genauer anschauen.« Der Stasi-Mann zieht eine Brille hervor. »Schiller«, haucht er und freut sich, als er eines der blauen Bücher in dem Stapel gewahr wird, »Cotta’sche Ausgabe.«
    Der Wind umtost meines Vaters schwarze Mähne. »Marx ist nicht dabei«, sagt er, »aber den hole ich noch. Und den gesammelten Stalin.

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