Buh: Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück (German Edition)
mich laut, »ohne dass das peinlich wird? Jeder im Zuschauerraum weiß doch, dass der Wolfgang nicht tot ist, zumal er sich ja im Anschluss verbeugen wird.«
»Nicht, wenn du mich vor der Pause sterben lässt«, sagt Wolfgang beleidigt, »dann kann ich nach Hause gehen.« Ein ungeschriebenes Bühnengesetz erlaubt, dass ein Schauspieler nicht bis zum Schlussapplaus bleiben muss, wenn er schon vor der Pause »abgespielt« ist.
»Das könnte dir so passen«, murmelt einer aus der Masse der jugendlichen Romeo-Begleiter, die alle selbst gerne Romeo wären.
Guntram Brattia, der Romeo, geht zu seinem Kumpel Wolfgang, der den Mercutio spielt, und tröstet ihn. Und ich denke über Mercutios Tod nach. Darüber, dass so ein Totentanz ja auch ziemlich abgedroschen ist. Mercutio tanzt in den Tod – was für eine hilflose Idee, ich bin schon fast dankbar, dass Bauer nicht tanzen kann.
Er kommt wie immer sehr dicht an mich heran, was auf eine unangenehme Eskalation hinausläuft. »Was hast du gegen meinen Tanz?«
Mein Gott, wie eitel, denke ich in diesem Moment und meine uns alle. »Romeo und Julia« ist eines der schwierigsten Stücke überhaupt. Vor allem, weil es als leicht und einfach gilt. Wenn wir aber ehrlich sind, hat es gerade mal vier gute Szenen: Mercutios Tod, Balkon-, Nachtigall- und Sterbeszene. Bei einer Langspielplatte mit vier Hits – da hebt man den Plattenspielerarm und überspringt die paar Rillen. Das kann man hier im Theater nicht, man muss sich durch die gesamte Handlung quälen, um die Hits zu hören. Aber es ist eben auch das Stück mit den meisten jungen Männern. In unserem Fall, am Residenztheater München im Jahre 1993, alles hochbegabter Nachwuchs, der natürlich alles besser kann als der, der es soll.
»Was gefällt dir an meinem Tanz nicht?«, Bauer will es wirklich wissen.
»Er ist irgendwie, na ja, unehrlich«, sage ich.
»Was?«, schreit Bauer, der sich schon auf dem Weg zum Publikumsliebling wähnt.
»Ja, weißt du«, ich wähle die Worte behutsam, denn ein Streit käme mir jetzt nicht gelegen, »wir wollen ja nicht nur einen exzessiven Tod, sondern auch einen ehrlichen, und da ist es nicht damit getan, dass du einfach umfällst, die Augen zumachst und die Luft so lange anhältst, bis der Vorhang fällt.«
Die Darsteller schauen verlegen auf ihre Degen und Schuhspitzen. Ich rede mich weiter in Fahrt. Bauer wird der Presse noch Jahre später erzählen, ich hätte damals sein Leben zerstört. Ich würde es so auch nie wieder machen. Aber so waren wir eben. Brutal eitel. Ich: auf dem Höhepunkt meiner Karriere, unbesiegbar, unantastbar, schön. Bauer: ein urwüchsiges, unbehauenes Schauspielnachwuchsgestein, früher in der Juniorenmannschaft von Bayern München, jetzt Shootingstar. Und Schriftsteller. Und bescheiden. Und zwar so, dass es mir nach einiger Zeit extrem auf den Sack geht.
»Du hast starke Fixierungsprobleme«, sage ich, »und dieser Tanz, na ja, Wolfgang Maria, der ist eben irgendwie entlarvend.«
»Ich verstehe nicht, was du meinst.« Bauer hat seinen rasierten Schädel gesenkt und schaut mich von unten herauf an. Ein Stupser mit seiner riesigen Faust und ich wäre auf Monate aus dem Rennen.
»Mensch, Wolfgang«, sage ich, »du hast doch schon Probleme, nur einen ehrlichen Ton zu treffen, deine Art zu spielen grenzt ans Laienhafte.«
Es scheppert. Bauer hat den Degen auf den Boden geschleudert und die Bühne verlassen. Er wird zurückgeholt.
»Wie wäre es, wenn du einfach ganz schnell rennst, so lange, bis du nicht mehr kannst?«
Bauer schaut mich misstrauisch an. »Weil ich Fußballer bin?«
»Nein«, lüge ich, »weil es keinen ehrlichen Bühnentod gibt. Das Einzige, was ehrlich ist, ist die totale Erschöpfung, und die müssen wir jetzt bei dir herstellen.«
Musik ab. Carter The Unstoppable Sexmachine dröhnt mit ihrem Song » GI Blues« aus dem Zuschauerraum und Bauer beginnt zu rennen. In ganz engem Kreis, das können nur Fußballer. Er rennt und rennt, den ganzen langen Song lang, dann legt er sich hin, schwer atmend, schweißnass glänzend, erschöpft. »So«, sagt er – und wird als Mercutio zur Legende.
Später, ich weiß nicht mal mehr, warum, habe ich ein Stück von ihm mit dem Titel »In den Augen eines Fremden« inszeniert. Dieses Stück, so wie alle anderen Uraufführungen von anderen Autoren wie Edward Bond, Heiner Müller, Botho Strauß durch mich, wurde nie wieder aufgeführt.
22 UNTER PFAUEN
UNTER PFAUEN
22 ICH HÄTTE DOCH EINE TASSE TEE
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