Bujold, Lois McMaster - Die magischen Messer 2
Baumwollgarn verstrickte und Socken für Dag begann – und sich dem Gefühl hi n gab, dass dieser Ort vielleicht doch ihr Zuhause werden könnte.
Zwei Tage später führte Dag sie nicht zur Schwimmstunde, sondern in einem der schmalen Boote hinaus auf den See. Er hatte einen speziell geformten Haken für seine Handgelenk s manschette, mit dem er ein Paddel führen konnte. Nach einer kurzen Unterweisung auf der Anlegestelle wurde Fawn mit e i nem eigenen Paddel vorn ins Boot gesetzt. Erst war sie nervös und kam sich sehr unbeholfen vor, wie sie so über die ausg e dehnte Wasserfl ä che blickte und Dag außer Sicht hinter ihr war. Aber bald fand sie den richtigen Rhythmus.
Hinter der Walnussinsel wichen die kleinen Wellen einer Wa s seroberfläche, die spiegelglatt war, und Fawn entspannte sich noch mehr. Sie hielten inne und betrac h teten das Abbild eines toten Baums, der sich im Wasser widerspiegelte, die kahlen, weißen Zweige in auffalle n dem Kontrast vor dem grünen Wald. Hier lag der Bru t platz der Breitschwingenbussarde, von denen einige a n mutig über ihnen kreisten oder auf den Zweigen saßen. Fawn lächelte bei der Erinnerung an den Rotschwan z bussard, der sie bei Glashütten erschreckt hatte. Alle gr ö ßeren Raubtiere, so hatte Fawn mitbekommen, wurden durch die Magie der Seenläufer von den Inseln ferngeha l ten.
In den abgelegenen Fahrrinnen war die Luft reglos und heiß und das Wasser sauber. Riesige Holunderb ü sche neigten sich vom Ufer herab, die Zweige schwer vor d i cken Büscheln grüner Beeren, die allmählich einen vie l versprechenden rosa Farbton zeigten. Noch ein M o nat, und die Beeren würden schwarz und reif sein, und Fawn konnte sich gut vorste l len, wie ein Junge sie von einem Boot wie diesem hier sammeln konnte.
Ein glänzender Sonnenbarsch sprang in ihr Boot, gleich vor Dags Füße. Dag lachte über Fawns erschrecktes Kre i schen und hob den zappelnden Fisch sanft zurück ins Wa s ser. Er stritt ab, dass er ihn mit dem Essenzgespür der See n läufer herbeigelockt hatte. »Viel zu klein, Fün k chen! «
Sie umrundeten ein Gewirr von Tang und Rohrkolben, wo Ro t schulterstärlinge ein bellendes Zirpen und heisere Pfiffe au s tauschten. So gelangten sie schließlich auf eine ausgedehnte Wasserfläche, wo sich breite Seerosenblätter drängten, die we i ßen Blüten geöffnet und der Sonne zugewandt. Schlanke, schi l lernd blaue Libellen und dickere rote schwirrten durch die Luft über dem Sumpf, und Schildkröten sonnten sich aufgereiht auf Baumstämmen, die gelb gestreiften Hälse vorgereckt, die bra u nen R ü cken schimmernd wie polierte Steine.
Ein Graureiher stolzierte langsam am gegenüberli e genden Ufer en tl ang . Er erstarrte kurz, dann schoss der lange gelbe Schnabel ins Wasser. Eine silbrige Elritze blitzte auf, als der Reiher den Hals verdrehte, schluckte und einen Moment lang mit gebog e nem Hals dastand und sehr selbstgefällig dabei aussah.
Fawn wusste kaum, ob es sie froher machte, die Blumen zu b e trachten oder den zufriedenen Ausdruck auf Dags Gesicht. Dag seufzte entspannt, runzelte dann aber die Stirn.
»Ich dachte, das sei dieselbe Stelle, aber sie wirkt kle i ner. Das Wasser ist auch längst nicht so tief. Ich eri n nere mich daran, dass es ein gutes Stück über meinen Kopf reichte. Bin ich i r gendwo falsch abgebogen? «
»Für mich sieht es tief genug aus. Äh … wie alt warst du noc h mal, als du diese Stelle entdeckt hast? «
»Acht. «
»Und wie groß? «
Dag öffnete den Mund und grinste dann verlegen. »Kleiner als du, Fünkchen. «
»Nun, dann. «
»Nun, in der Tat. « Er legte das Paddel auf den Schoß und blic k te sich um.
Die Seerosen waren schön, aber es war doch dieselbe weit ve r breitete Art, die Fawn bereits auf den entlegen e ren Gewässern um Blau West herum gesehen hatte. Auch Rohrkolben, Libe l len, Schildkröten, Amseln und Reiher hatte sie schon mal ges e hen. Es gab nichts Neues hier, und doch … ist dieser Ort m a gisch. Die Stille in der warmen, feuchten Luft, nur gestört von den leisen Lauten des Sumpflands, klang in ihren Ohren heilig, als würde Fawn unter all diesen Lauten noch etwas hören. So muss es die ganze Zeit sein, mit Essenzgespür. Der Gedanke flößte ihr Ehrfurcht ein.
Sie saßen still im engen Boot, ohne das Bedürfnis zu spr e chen, bis die Hitze der Sonne allmählich ungemü t lich wurde. Mit einem Seufzer nahm Dag das Paddel wieder auf und drehte das Boot herum. Sein Schlag ließ einen
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