Bujold, Lois McMaster - Die magischen Messer 2
weitem nicht genug.
Über den Zeltplatz hinweg sah sie zu, wie Cattagus sich mit Messer, Ahle und verschiedenen Hirschlederst ü cken an einem Plankentisch niederließ. Seine Aufgabe war es an diesem Mo r gen, ein neues Paar Schuhe für seine Großnichte Tesy zu m a chen – zumindest ließ sich das aus der Art schließen, wie sie um ihn herumtanzte und kicherte, wenn er ihre Füße kitzelte, nac h dem er sie g e gen seine Stücke ausgemessen hatte. Vielleicht war es nur Zufall, dass seine rechte Hand einen Augenblick lang auf dem linken Handgelenk zu ruhen kam, bevor er sich vorbeugte und mit dem Zuschneiden begann.
Fawn drückte ihren Rücken gegen den Apfelbaum und zwang sich weiterzustricken. Ohne Sarris zwei Kinder wäre der Zel t platz während dieser letzten Tage allzu r u hig gewesen. Auch wenn die Ablenkung, die sie geboten hatten, als sie vorgestern für mehrere Stunden verschwunden waren, nicht wirklich hil f reich zu nennen war. Ein Nachbar, der zum Mitsuchen gedrängt worden war, hatte sie schließlich in den Wäldern fast am and e ren Ende der Insel gefunden – wo sie selbst nach ihren V ä tern suchten. Fawn nahm an, dass von ihrem kindlichen Gesicht s punkt aus Razi und Utau auch nur große Spielkameraden w a ren, die ebenso rätselhaft verschwanden, wie sie wieder au f tauchten. Sarris wiederholte und b e mühte Erklärungen über die Patrouille mussten auf sie ebenso unverständlich wirken wie eine Reise zum Mond.
Fawns Regel hatte einen Tag nach Dags Abreise ei n gesetzt. Das kam nicht sonderlich überraschend, weckte aber doch allzu vi e le unliebsame Erinnerungen. Sarri hatte Fawn gezeigt, wie Seenläuferfrauen den Flaum von Rohrkolben als saugfähiges Füllmaterial für ihre Binden verwendeten. So konnte man sie anschließend einfach in die Latrine werfen, statt die Füllung mitsamt der Hülle mühsam auszuwaschen. Das bot nur wenig Trost.
Fawn hatte zwei freudlose Tage mit herumsitzen, spinnen und Krämpfen verbracht und erfolglos zu en t scheiden versucht, ob das einfach nur eine besonders heftige Regel war oder noch e i ne Folge der groben Behan d lung durch das Übel. Sie hätte sich gewünscht, Mari wäre hier gewesen, um sie danach zu fragen. Aber schließlich war der zermürbende Schmerz zurückgega n gen, und z u sammen mit der Blutung ließen auch ihre Ängste nach. Heute ging es ihr viel besser.
Die letzte Reihe. Fawn vernähte sorgfältig die Enden und legte das neue Paar Baumwollsocken auf ihren Schoß. Sie waren gut gelungen; die wenigen verlorenen Maschen waren ordentlich wieder eingefangen worden, die Fersen beugten sich in einem natürlichen Winkel und sahen nicht so aus wie etwas, was ihre Brüder dem Hahn angezogen hätten. Sie grinste bei der Erinn e rung, wie der verärgerte Vogel mit jenen missgestalteten Wol l säcken an den Füßen herumgestakst war, obwohl sie damals bei diesem Anblick noch viel wütender gewesen war als das Tier.
Sie schlüpfte in ihr Zelt und kämmte sich das wide r spenstige Haar, band es zusammen und durchwühlte dann die Restetasche nach ein wenig farbigem Garn. Sie faltete die Socken ordentlich und machte mit dem Garn eine Schleife um das Bündel, damit es mehr nach einem Geschenk aussah. Dann richtete sie sich auf, straffte die Schultern und folgte der Straße zu Cumbia Rotdrossels Lagerplatz.
Der Wind hatte am Vortag Regen vom Westen hera n getragen, und glitzernde Tropfen stäubten von den hohen Hick o rybäumen herab, als eine frische Brise sie bewegte. Dags Trupp musste dasselbe ausgedehnte Unwetter durchquert haben, vermutete Fawn, aber ob es sie auf der Straße e r wischt hatte oder an einem Zufluchtsort, konnte sie nicht sagen.
Trotz der anhaltenden Feuchtigkeit fand sie Cumbia draußen vor, als sie den Rotdrossel-Zeltplatz erreichte. Die alte Frau saß auf einem Lederkissen, auf dem unve r meidlichen Holzklotz - Stuhl an einem der groben Plankentische. Sie trug den ärmell o sen, wadenlangen Kittel, der hier anscheinend für die Frauen im Sommer die übliche Kleidung war. Cumbias zeigte ein verblas s tes, bläuliches Rot, das auf irgendein Färbemittel aus Beeren hi n deutete.
Die hagere, aufrechte Gestalt war ein wenig vornübergeneigt, der schimmernde, graue Schopf über die Arbeit gebeugt. Strä n ge des langfasrigen Wasserkü r bisflachses lagen auf dem Tisch ausgebreitet. Mit einer vierzackigen Strickgabel flocht Cumbia sie zu der starken, leichten Schnur, die die Seenläufer verwe n deten; Wie ’ Fawn gehofft hatte, waren
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