Bullenhitze
Hain, der ebenso wie sein Chef das Gleichgewicht verloren hatte und mit lautem Krachen auf dem Boden aufgeschlagen war, sprang auf und setzte dem Flüchtenden hinterher. Die Handschellen, die er noch immer in der rechten Hand hielt, ließ er nach ein paar Metern einfach fallen.
Lenz rappelte sich ebenfalls auf und lief los, allerdings etwas langsamer als sein jüngerer Kollege. Die Zwischentür, durch die beide ein paar Sekunden vorher gerannt waren, schwang ihm langsam entgegen. Er riss die Arme hoch, drückte die schwere Stahlkonstruktion nach vorne und lief weiter. An der nächsten Ecke sah er Hain gerade noch nach rechts verschwinden. Dann war er in dem großen Aufenthaltsbereich angekommen, der tagsüber als Verteiler von und zu den einzelnen Stationen diente. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Bittner sich an einer Tür zu schaffen machte, die jedoch verschlossen war. Als Hain nur noch ein paar Meter von ihm entfernt war, ließ er den Griff los und rannte auf eine Treppe zu. Nach einem Sekundenbruchteil des Zögerns entschied er sich für den Weg nach oben und hastete, jeweils zwei oder auch drei Stufen auf einmal nehmend, ins nächste Geschoss. Hain folgte ihm, doch Bittner war noch immer hervorragend in Form. Der Abstand wurde mit jeder Stufe ein klein wenig größer, obwohl auch der junge Kommissar viel für seine Fitness tat. Lenz rannte, so schnell er konnte, und hörte dabei das Hecheln der beiden Männer vor sich. Ein ums andere Stockwerk jagte Bittner nach oben, bis er vor einer Glastür stand. Er rüttelte daran, doch sie ließ sich nicht öffnen. Hain hatte den letzten Treppenabsatz erreicht und konnte den Flüchtigen schon sehen, als dieser nach einem Stahlrohrstuhl griff, der an der gegenüberliegenden Wand stand, und ihn mit voller Wucht in das untere Glas der Tür schleuderte. Das ohrenbetäubende Krachen, das folgte, wurde von einem Prasselregen unzähliger kleiner Glasstücke begleitet.
Bittner trat den Rest der Scheibe, der in der Dichtung hängen geblieben war, nach außen, und zwängte sich hinterher. Irgendwo in der Ferne hörte man einen Alarmton.
»Bleib stehen, Mann, das hat doch so keinen Sinn!«, schrie Hain ihm durch das Loch nach, doch seine Worte verhallten ungehört. Also bückte er sich und stieg ebenfalls hinaus aufs Dach. Dort konnte er im diffusen Licht der Notbeleuchtung sehen, dass Bittner um einen Abzugskamin herumlief und in der Dunkelheit verschwand. Er zog seine Dienstwaffe aus dem Holster und machte sich langsam an die Verfolgung.
Lenz hatte nun ebenfalls den letzten Treppenabsatz hinter sich gebracht und sah auf die Tür, deren unteres Glas fehlte.
»Och nee«, hörte er sich selbst murmeln, bevor er den beiden hinterherstieg.
Hain zwängte sich, geduckt und die Waffe im Anschlag, am Kamin vorbei und sah schemenhaft, weil seine Augen sich noch immer nicht an die Dunkelheit gewöhnt hatten, die Gestalt des Flüchtenden etwa 20 Meter vor sich. Der Olympiatourist stand völlig ruhig an der Kante des Daches und sah auf die Lichter der Stadt. Hain steckte seine Waffe zurück und ging langsam auf den Mann zu.
»Machen Sie jetzt bloß keinen Blödsinn, Herr Bittner. Seien Sie vernünftig und kommen Sie da weg.«
Lenz hatte nun ebenfalls den Abzugskamin erreicht und lugte vorsichtig um die Ecke. Er sah seinen Kollegen, er sah Bittner, und es war ihm sofort klar, dass der Mann springen würde.
»Nein«, schrie er noch, doch da war es schon zu spät. Lautlos und ohne jeglichen Kraftaufwand ließ der Exsportler sich mit durchgedrückten Knien über die Dachkante nach vorne fallen, als trainiere er einen eleganten Sprung vom Zehnmeterbrett. Der Hauptkommissar schloss die Augen und wartete ein paar Sekunden, bevor er sich an der Kante des Kamins entlangwagte und auf seinen Kollegen zugehen wollte, doch Hain war schon an der Dachkante angekommen und starrte in die Tiefe. Dort lag, im Schein der Eingangsleuchten, der verdrehte, zuckende Körper von Sebastian Bittner. Aus seinem Mund drang ein lautes, gequältes Stöhnen. Verwundert sah Hain, dass der Mann versuchte, sich aufzurichten, doch dann fiel der Körper in sich zusammen und blieb regungslos liegen. Keine Sekunde später flog die Tür auf und ein weiß gekleideter Mann sah zunächst auf den vor ihm liegenden Körper und im Anschluss an der Fassade nach oben. Danach ließ er sich auf die Knie fallen, beugte sich zu Bittner hinunter und sagte etwas zu ihm.
*
Lenz und Hain saßen auf einer Bank im
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