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Bullenhitze

Bullenhitze

Titel: Bullenhitze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias P. Gibert
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dem Heimweg im Auto hatte er sich immer wieder dabei ertappt, wie er gedanklich Movies über Marias Gesundheitszustand und den Unfallhergang machte. Als er deswegen eine rote Ampel viel zu spät wahrnahm, versuchte er, sich auf andere Dinge zu konzentrieren, was ihm jedoch nur leidlich gelang. Später, unter der Dusche, wurde er von einer solch tiefen Verzweiflung erfasst, dass ihm die Tränen in Bächen aus den Augen schossen.
    Eine gute Stunde, nachdem er eingeschlafen war, klingelte sein Telefon. Zunächst baute er das Geräusch in einen Traum ein, doch dann schreckte er hoch, stierte in die Dunkelheit, sprang auf und rannte in die Küche, wo das Gerät auf dem Tisch lag.
    »Ja«, meldete er sich verschlafen.
    »Ich bin’s, Uwe.«
    »Scheiße, Uwe, sag mir jetzt nicht, dass sie es nicht geschafft hat. Bitte nicht.«
    »Nein, das sage ich nicht. Und es tut mir leid, dass ich dich offensichtlich geweckt habe, aber wenn du willst, kannst du sie kurz sehen. Ich hab vorhin mit einem Bekannten telefoniert, der mir im Lauf des Gespräches erzählt hat, dass seine Tochter auf der Intensivstation Nachtwache schiebt. Er hat bei ihr nachgefragt, ob ein rein dienstlicher, sehr diskreter, kurzer Besuch möglich ist, und sie hat sich bereit erklärt, beide Augen zuzudrücken. Außerdem wollte sie nicht wissen, wer kommt.«
    Lenz konnte nicht sofort realisieren, was sein Freund ihm da gerade offerierte.
    »Ich kann jetzt ins Krankenhaus fahren und sie sehen?«, fragte er ungläubig.
    »So ist es. Aber lass dich nicht erwischen, hörst du? Über die möglichen Folgen muss ich dir mit Sicherheit nichts erzählen.« Wagner gab ihm noch durch, wo er sich melden sollte, und beendete dann das Gespräch.
    Lenz stand frierend und in der Unterhose am Küchentisch, legte langsam das Telefon zur Seite, öffnete den Kühlschrank und nahm einen tiefen Schluck abgestandene Cola.
     
    *
     
    Anne Wolters-Richling, die junge Frau, die ihm den Besuch ermöglichen wollte, empfing ihn mit dem Zeigefinger am Mund an der Stationstür. »Leise, bitte. Meine Kollegin macht zwar gerade ein Nickerchen, aber das soll nichts heißen.« Sie griff hinter sich und reichte dem Kommissar einen grünen Kittel und einen Mundschutz. »Das müssen Sie anziehen, wegen der Infektionsgefahr. Und falls irgendein Gerät im Zimmer Alarm schlägt, während Sie drin sind, müssen Sie so schnell wie möglich flitzen gehen. Alles klar?«
    »Klar«, erwiderte Lenz, während er sich den Stoff von vorn über die Schulter legte und zuband.
    »Dann los. Und immer schön leise«, wiederholte sie.
     
    Marias Kopf steckte unter einem dicken Verband, sodass von ihrem Gesicht nur die verschrammte Nase und der an der Seite aufgeplatzte Mund zu sehen waren, aus dem ein Schlauch ragte. Der Raum, in dem sie lag, war bis auf die diffusen Lichter der zahlreichen Monitore völlig dunkel. Hinter ihrem Bett schnaufte leise eine Maschine, die sie vermutlich mit Sauerstoff versorgte. Ihr Körper lag unter einer dünnen Decke, die bis knapp über ihre Brust reichte.
    »Nur ein paar Minuten«, flüsterte Anne Wolters-Richling in seinem Rücken, als er langsam auf das Bett zuging. Kurz darauf hörte er das leise Klacken der Tür. Dann war er allein mit seiner Geliebten und den Geräuschen der Geräte, die ihr Überleben sicherstellen sollten. Direkt neben ihrem Bett hörte er zum ersten Mal bewusst das Signal, das ihren Herzton akustisch wiedergab. Und er sah, wie sich ihr Brustkorb rhythmisch hob und senkte.
    Mit zitternden Fingern griff er nach ihrer schlaffen rechten Hand, in der eine Kanüle mit einem dünnen, durchsichtigen Schlauch daran steckte, der an einer Infusionsflasche über ihrem Kopf endete. Der Kommissar bekam feuchte Augen, als er ihre kalten Finger sanft zwischen seinen rieb. Dann legte er die Hand zurück und streichelte ihr kaum spürbar über die blau angelaufene linke Wange. Für einen Augenblick bildete er sich ein, sie würde die Augen öffnen und ihn ansehen, aber es blieb bei der Einbildung.
    Piep, piep, piep, hörte er dem Ton ihres Herzschlages zu und wünschte sich dabei nichts mehr, als dass er sie eines Tages wieder in seine Arme würde nehmen können.
    »Werd gesund, meine Liebe«, flüsterte er, betrachtete noch einmal ihr Gesicht, drehte sich um und verließ leise den Raum. Vor der Tür wurde er vom wesentlich helleren Licht auf dem Flur so geblendet, dass er sich die Hand vor die Augen halten musste. Dann erschien auch schon Anne Wolters-Richling mit einem

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