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Bullenhitze

Bullenhitze

Titel: Bullenhitze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias P. Gibert
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sehen.
    Aus der Erinnerung kamen Bilder an eine Operation vor vielen Jahren hoch, der einzigen bisher in seinem Leben. Blinddarm. Auch damals war es kalt im Operationssaal. Oder war das noch gar nicht der Operationssaal? Egal, es war auf jeden Fall kalt. Eiskalt. So wie hier auch.
    Und nackt war ich, bis auf dieses grässliche grüne Hemd, das hinten offen stand.
    Unter ihm wurde es immer kälter. Und er hatte Schmerzen in der Brust, weil ihn dort irgendetwas drückte. Eine Rundung oder eine Wölbung.
    Ein OP-Tisch mit Wölbung?
    Und ein merkwürdiger Geruch. Ein ganz merkwürdiger Geruch, wie er ihn noch nie zuvor gerochen hatte.
    Wieder El Condor Pasa, gepfiffen.
    Fröhliche Ärzte hier.
    Das Pfeifen verstummte, wurde ersetzt durch ein Ächzen und Stöhnen. Dann drückte jemand an seinen Pobacken herum, mit etwas Kaltem.
    Wieder das Pfeifen. Aber nun ganz weit weg, kaum mehr wahrnehmbar. Als ob jemand einen schallisolierten Deckel über ihn gestülpt hätte. Und dieser fiese Geruch.
    Er atmete, obwohl es ihm schwer fiel, tief ein, und bewegte den Kopf ein Stück nach links, zuckte jedoch sofort zurück, weil seine linke Gesichtshälfte auf etwas Kaltes gestoßen war. Langsam näherte er sich wieder dem kalten Gegenstand, auf dem er offensichtlich lag. Dann wurde sein Körper plötzlich hin- und hergeworfen. Sein Kopf schlug noch einmal hart auf, daraufhin blieb seine Nase an etwas hängen. Etwas Weichem, Kaltem. Und immer wieder dieser Geruch.
    Er wurde gefahren, ja, er wurde gefahren, aber ohne Motor. Er wurde geschoben.
    Gerne hätte er mit den Händen ertastet, was sich unter ihm befand, doch seine Arme waren noch immer vor seinem Bauch fixiert.
    Wieder stieß seine Nase an den kalten Gegenstand, der nun leicht nachgab, und mit der Wucht einer Explosion setzte sich bei ihm die Erkenntnis durch, dass es die Nase eines Menschen war, die er berührt hatte. Die Nase eines kalten, eines toten Menschen.
    Er fing an zu schreien, dass es in seinen Ohren hallte, doch heraus kam dabei nur ein gedämpftes, wimmerndes Stöhnen. Er bäumte sich auf, stieß hart mit dem Rücken und dem Hintern an etwas, das ebenso kalt war wie der Leichnam unter ihm, hatte Schmerzen in der Brust, denen er überhaupt keine Bedeutung beimaß. Er knallte im Aufbäumen mit dem Kopf gegen einen Widerstand, der hohl, dumpf und hölzern klang und sank erschöpft und heulend auf den Toten nieder, um im gleichen Moment seinen Muskelapparat wieder anzuspannen. Sein Puls raste, sein ganzer Körper zitterte, er wollte sich übergeben, doch aus seinem Mund konnte nichts entweichen, also schluckte er, stieß die Flüssigkeit durch die Nasenlöcher aus und rang nach Atem.
    Dann verstummte das Geräusch der Gummirollen. Er bemerkte einen letzten Schwenk, danach für ein paar Sekunden Bewegungslosigkeit, bevor sein Körper mit atemberaubender Geschwindigkeit nach vorne katapultiert wurde. Dabei stieß er mit dem rechten Fuß gegen einen Widerstand und glaubte, einen Knochen brechen zu hören, doch er verspürte keinen dazu passenden Schmerz.
     
    Das Nächste, was er wahrnahm, war eine Welle der Angst, die ihm nahezu die Sinne raubte. Er schrie, bäumte sich auf, schlug ein letztes Mal mit dem Kopf gegen den Sarg, in dem er lag, und dessen lose aufgelegter Deckel sich dadurch ein Stück anhob und zur Seite rutschte. Bevor die Hornhaut seiner beiden Augen verdampfte, erkannte er noch, dass um ihn herum alles in ein betörendes, unfassbar intensives Rot getaucht war, und für den Bruchteil einer Sekunde schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, dass dies die Hölle sein müsse.
    Er registrierte, dass seine Haut Blasen warf, die sofort platzten, und seine Haare sich blitzartig kräuselten, bevor sie sich in ein stinkendes Nichts verwandelten.
     
    Das Letzte, was Klaus Patzner in seinem Leben bewusst wahrnahm, war ein Schrei, den er selbst ausgestoßen hatte. Er konnte ihn hören, weil der Kleber des Gewebebandes, mit dem sein Mund in der letzten Stunde seines Lebens fixiert gewesen war, durch die Hitze im Innern des Krematoriumsofens so weich wurde, dass er flüssig über das Kinn des Sterbenden lief. Dann wurde es endgültig Nacht um ihn herum.
     
     

23
    »Starker Auftritt«, fasste Hain das Ergebnis des kurzen Gesprächs mit Roland Kronberger zusammen. Die beiden Kriminalbeamten standen in der Tür des Sozialraumes und sahen nach draußen, wo noch immer ein paar Arbeiter zusammenstanden und diskutierten.
    »Ja«, bestätigte Lenz. »Wirklich ein starker

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