Bullenhitze
Sebastian Bittner in Hofgeismar betrieb, lag in einem versteckten Hinterhof einer Seitenstraße der Fußgängerzone. Als die beiden Polizisten den diffus beleuchteten, bis unter die Decke vollgestellten Laden betraten, wurden sie von einer schrillen Klingel über ihren Köpfen erschreckt.
»Mein Gott«, stöhnte Lenz. Dann bewegte sich ein bunter Vorhang und es tauchte eine etwa 30-jährige Frau dahinter auf.
»Guten Abend«, begrüßte sie die Beamten freundlich und platzierte einen Schuhkarton neben sich auf dem Boden. »Was kann ich für Sie tun?«
Hain stellte sich und seinen Kollegen kurz vor und kam sofort zur Sache. »Wir möchten zu Herrn Bittner. Ist er im Haus?«
»Nein«, erwiderte sie kopfschüttelnd. »Aber er ist wohl heute einer der meistgesuchtesten Männer der Stadt, wenn ich das Interesse an ihm richtig deute.«
»Wer interessiert sich denn außer uns noch für ihn?«, wollte Hain wissen.
»Hier im Laden waren sicher schon zehn oder zwölf Leute, die sich entweder bei ihm bedanken wollten oder ihm die Pest an den Hals gewünscht haben, ganz nach persönlicher Fasson.«
»Und wer liegt vorne?«, fragte Hain schmunzelnd.
»Eindeutig die Fraktion, die ihn teeren und federn will«, antwortete sie, ebenfalls mit einem Lächeln auf den Lippen.
»Sind Sie seine …?« Der Oberkommissar stockte.
»Oh nein, Gott bewahre. Ich bin eine 400-Euro-Kraft, die sich heute wünscht, wieder bei McDoof Buletten zu verhökern.«
»Und wo ist Ihr Chef?«, mischte Lenz sich ein. »Wissen Sie das?«
»Nein, tut mir leid. Er hat heute Morgen bei mir angerufen und mich gefragt, ob ich für ein paar Tage den Laden machen könnte, weil er weg müsse. Insgeheim hatte ich mit so was gerechnet, nachdem mir mein Freund gestern Abend erzählt hatte, was Sebastian sich da geleistet hat.«
»Erreichen wir ihn vielleicht zu Hause?«, forschte der Hauptkommissar weiter.
Sie schüttelte den Kopf und deutete mit dem rechten Zeigefinger nach oben. »Er wohnt hier oben drüber, aber er ist ganz sicher nicht da. Sein Auto ist auch weg.«
»Gibt es vielleicht eine Freundin, bei der wir suchen könnten?«
»Seit etwa zwei Wochen nicht mehr, leider.«
Sie trat einen Schritt auf die Polizisten zu und sah sich in dem leeren Laden um, so als fürchte sie, belauscht zu werden.
»Das ist nach meiner Meinung sowieso der Grund, warum er umgefallen ist«, flüsterte sie. »Wegen der Yvonne.« Wieder blickte sie um sich. »Wegen der Yvonne ist er umgefallen, und wegen nichts anderem.«
»Können Sie uns das erklären?«, fragte Lenz vorsichtig.
»Klar. Er hat sich damals in der Bürgerinitiative gegen das Krematorium engagiert, weil er sich in diese Yvonne verknallt hatte. Das ging schon eine ganze Weile so, und sie hatte ihn immer abfahren lassen, doch plötzlich sah er eine Chance, an sie ranzukommen. Und es hat dann ja auch geklappt, zumindest bis vor zwei Wochen.«
»Und warum haben sich die beiden getrennt?«
»Darüber könnte ich nur spekulieren, weil Sebastian zwar ein guter, aber auch ein sehr diskreter Chef ist.«
»Ich habe nichts gegen Spekulationen einzuwenden«, machte Lenz ihr Mut, was sie mit einem erneuten Lächeln quittierte.
»Wenn Sie mich fragen, hat Yvonne …«
»Hat diese Yvonne auch einen Nachnamen?«, wurde sie von Hain unterbrochen, der seinen Notizblock aus der Jacke gezogen hatte.
»Yvonne Wild, wie die Tiere, die im Wald umherrennen«, fuhr sie fort. »Auf jeden Fall hat sie sich in der letzten Zeit tierisch darüber aufgeregt, dass die Medien Sebastian zum Star der BI gemacht hatten und er sich das auch gerne gefallen gelassen hat. Er stand im Rampenlicht, obwohl ihn die ganze Sache mit dem Krematorium eigentlich gar nicht so sehr interessiert hat. Er wollte über die Geschichte nur an die Frau rankommen, aber nachdem das geklappt hatte, bekam das so einen Drall, dass er nicht einfach wieder aussteigen konnte. Es war ein Segen fürs Geschäft, da können Sie Gift drauf nehmen.«
Hain trippelte von einem Fuß auf den anderen.
»Angenommen, das stimmt so, dann hätte Herr Bittner seine Mitstreiter schon kräftig verkohlt, oder?«
»Das hat er, glauben Sie mir. Ich habe es ihm auch heute Morgen auf den Kopf zugesagt, aber das ist nicht das, was er im Moment hören will.«
»Was will er denn lieber hören?«
»Na, was wohl? Dass seine Verflossene ihn wieder erhört.«
»Aber das tut sie nicht?«
»Nein, ganz sicher nicht. Sie hat einen Neuen, einen von den oberen Zehntausend, wie man sich
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