Bullet Boys
Hammerton-Kaserne fuhr. Sobald ich dort wieder raus war, rannte ich durchs Moor in die Stadt, verbrachte die Nacht an der Bushaltestelle und bin erst am übernächsten Tag mit dem Bus nach Hause gefahren. In der inzwischen berühmt gewordenen »48-stündigen-Abwesenheit-von-Max« habe ich mich hinter der Pommesbude versteckt, im Müllcontainer gesessen, kalte Pommes gegessen und alte Boulevardzeitungen gelesen, es ging mir also richtig gut, abgesehen von der Tatsache, dass das Zittern nicht aufhören wollte.
Ich schwöre, ich fahre nie wieder mit meinem Vater mit.
Als er mich verriet und mein Leben zerstörte, glaubte er offenbar, er täte das Beste für seinen Sohn. Ich muss an die Zukunft denken. Ich muss an meine neuen Fast-Freunde denken und an den Tag, an dem ich dieses Haus verlasse und nie mehr zurückkomme. Ich muss aufhören, an meinen Vater zu denken. Denn wenn ich das tue, habe ich das Gefühl, mein Hirn vergärt, verwandelt sich in Essig und produziert lauter stinkende, abgedrehte Gedanken.
Denk an was anderes, Max Cosgrove. Ich komme mir vor wie ein buddhistischer Mönch, der versucht, sein Hirn zu trainieren. Puh!
Gestern habe ich in der Cafeteria gehört, wie Sasha von Alex (Alex! Dem Stillen!) wissen wollte, ob er Lust auf einPicknick mit ihr und ihrem übel riechenden Kind hat. Levi war nicht erfreut, als ich es ihm berichtete.
»Sie sind freie Menschen«, sagte Levi wenig überzeugend. »Was geht mich das an?«
Ich glaube, Levi und Alex brüten irgendwas Finsteres aus. Wenn sie auf der Wiese sitzen, streiten sie sich, sprechen dabei aber extra leise. Ich fürchte, sie haben rausbekommen, was ich getan habe und wer ich bin. Sie hören auf zu reden, sobald ich mich ihnen nähere. Das ist der beste Beweis.
Mutter kreischt von unten.
»DU BIST SPÄT DRAN! STEH AUF!«
Ich mache »tss«, verlasse mein Zimmer und wappne mich für die Frühstücksfehde.
»Hast du deine Hausaufgaben gemacht?« Mutter blickt mich über den Bildschirm hinweg an.
»Was liest du gerade?«, frage ich und überhöre ihre Frage.
»Die Nachrichten«, trillert meine Mutter. Sie lügt natürlich. Sie liest Artikel über Brustimplantate irgendwelcher Berühmtheiten, chattet mit ihren virtuellen Freundinnen oder scrollt sich durch Online-Designermode-Shops.
Ich mache mir eine Portion Cornflakes und schaufle das Zeug in mich rein. Die Flocken sehen aus wie große Fetzen knuspriger toter Haut. Und so was esse ich!
»Ich fürchte, du wirst nicht eine Prüfung bestehen.«
Kauen, schlucken, kauen, schlucken. In vierzig Sekunden bin ich hier weg. Ich kaue und trommle im selben Rhythmus mit der Faust auf den Tisch.
Kau’n, schluck’n, kau’n, schluck’n (yeah, yeah)
Schluck’n (hey)
»Frank ist der Meinung, wir sollten dir das Taschengeld sperren, bis du ein bisschen Fleiß zeigst.«
Frühstücks-Terror / die Alte redet Stuss
Tack tack tack / immer unter Beschuss
»Schon wieder dieser verfluchte Hut.«
Ich mach nix falsch / bleib mir vom Hals
lass mich in Ruh / du Mutterkuh
»Du hast auf dein Hemd gekleckert. MAX. Du benimmst dich wie ein Kind.«
Ich noch ein Kind, das ist dein Bild / klar werd ich da wild
Was bin ich wild, Frau (o yeah, yeah, yeah)
Ich bin WILD , Frau (schlucke, schlucke, kau, kau, schluck)
»Kannst du bitte das Getrommel lassen?«
Guckst mich an, als wär ich der letzte DRECK
Du bist doch meine MAMA , ist all deine Liebe weg?
Kau’n, schluck’n, kau’n, kau’n, schluck’n.
Yippie! Ich spüre, wie es in mir summt, wie immer, wenn ein neuer Rap kommt, fertig aus meinem Kopf, wie ein Geschenk! Es ist ewig her, dass das passiert ist. Das Trauma hat meine Schaffenskraft unterdrückt. Ich muss Gerry holen, damit er mir beim Aufnehmen hilft, am besten heute noch. Ich komm immer noch nicht mit dem Super-Computerklar, den mein Vater mir vor zwei Jahren gekauft hat. Da gibt’s jede Menge Programme, aber wenn ich mich erst durch die Anleitungen ackern muss, bleibt meine Kreativität auf der Strecke.
»Deine Schultasche ist ziemlich schwer.«
»Klar, da sind nämlich Drogen, Pornos und Bücher aus der Bibliothek drin«, fauche ich. Ich hasse Unterbrechungen, wenn ich im Rap-Modus bin. »Das solltest du doch wissen, du guckst doch jeden Abend nach.«
Mutter sieht heute besonders eigenartig aus. Ich schaue zu, wie sie meine leere Schale nimmt und zur Spüle trägt. Feen haben Mutters Gesicht mit flauschigen Quasten weiß gepudert, ihr Rock passt zum Oberteil, beides ein grenzwertiges
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