Bullet Boys
nur nicht bemerkt. Wenn das der Fall ist, bin ich geliefert.
Ich linse durch die Hecke, sehe aber kein Polizeiauto, auch sonst nichts und niemanden, so wie Simon gesagt hat. Das Auto meiner Eltern ist tatsächlich nicht da. Sie sind also noch unterwegs.
»Mann, wie siehst du denn aus!«, japst Simon, als ich inden Garten gehumpelt komme. Er sitzt in Flip-Flops, roten Shorts und einem gelben T-Shirt unter dem Sonnenschirm und tippt was in seinen Laptop.
»Ich müsste mal duschen«, sage ich.
»Du müsstest desinfiziert werden«, sagt Simon. »Was ist passiert? Du siehst aus wie ein Penner.«
»Das ist eine sehr lange Geschichte.« Ich setze mich an den Gartentisch.
»Du stinkst«, sagt Simon und rückt ab.
»Du kriegst eine Glatze«, gebe ich zurück. Aber dann entfährt mir ein lauter Seufzer. Einfach so, ungeplant. Ich bin zu Hause. In Sicherheit, jedenfalls im Moment. Ich liege nicht tot im Moor. Dad steckt irgendwo in Wales und die Fahndung nach mir ist aus unerfindlichen Gründen noch nicht bis nach Sourton durchgedrungen.
Wenn ich nicht die Nerven verliere, könnte ich mich vielleicht doch irgendwie rauslavieren.
»Hat jemand angerufen?« Ich nehme einen Schluck von Simons Smoothie.
»Nein«, sagt Simon. »Geh duschen. Nein. Sag mir erst, wo du warst.«
»Sekunde«, sage ich. »Muss pissen.«
Im Flur streife ich Levis Schuhe von den Füßen und ziehe die Telefonschnur aus dem Stecker. Dann durchsuche ich Simons Jacke nach seinem Handy, stelle es aus und verstecke es unter einem Stapel Tischwäsche. Ich bin ganz ruhig. Ein Schritt nach dem anderen. Zeit schinden. Ich laufe hinauf in mein Zimmer und werfe einen Blick auf meine Sachen: Die teuren Turnschuhe, die Designerhemden, die Spielkonsolen und die Geräte, alles meins, aber jetzt kann ich davon nichts gebrauchen. Sehnsüchtig blickeich auf mein bequemes breites Bett. Was würde ich dafür geben, wenn ich unter die Decke schlüpfen und in tiefen, tiefen Schlaf fallen könnte!
Stattdessen gehe ins Bad, verriegle die Tür und ziehe meine versifften Sachen aus. Ich stelle mich unter die Dusche und lasse heißes Wasser auf meinen müden Körper prasseln.
Beim Abtrocknen gucke ich aus dem Fenster und sehe, wie Simon sich am Ohr kratzt und in seinen Laptop starrt. Der ist beschäftigt. Ich ziehe ein sauberes T-Shirt und Shorts an und gehe ins Schlafzimmer meiner Eltern. Ich krieche unters Bett und nehme den losen Teppichboden ab, unter dem der Safe versteckt ist. Ich tippe die Chiffre ein, mache die Tür auf, nehme vier Kreditkarten raus und tausend Pfund in bar. Das alles stecke ich in einen kleinen schwarzen Beutel, den ich mal als Kind bekommen habe und irgendwie nie losgeworden bin. Ich packe T-Shirts, Jeans, Unterwäsche und eine leichte Jacke in meinen Rucksack, dazu noch meinen Pass, Sonnenbrille und ersetze das Telefon der Pfadfinderinnen durch mein eigenes. Dann bringe ich alles nach unten.
»Du musst mich nach Plymouth fahren.«
Mein Bruder wendet die Augen nicht vom Bildschirm. »Wieso das? Wann erzählst du mir, was los ist?«
»Unterwegs.«
»Was hast du gemacht?«
»BITTE, Simon.« Meine Stimme zittert. Ich bin nicht so cool, wie ich dachte. Ich schiebe immer noch voll die Panik. »Fahr mich einfach, ja? Ja, ich habe Scheiße gebaut. Und wenn Dad nach Hause kommt, bringt er mich um. Ich will nicht hierbleiben.«
Endlich löst sich Simon aus der virtuellen Welt und sieht mich in der wirklichen Welt leiden. »Das muss ja wirklich was Übles sein. Ich fahre dich nirgendwohin, bevor du mir nicht sagst, was passiert ist.«
»Dann fahre ich eben mit dem Scheiß-Bus.« Ich will losgehen, aber Simon packt mich am Arm.
»Steig ins Auto«, sagt er. Als wir losfahren, setze ich meine Sonnenbrille auf. Ich wusste, ich kann mich auf Simon verlassen. Konnte ich immer. Selbst als Simon noch ein Kind war, hat er mich in Schutz genommen. Mich durchströmt ein Gefühl der Zuneigung für meinen Bruder. Er ist ein Star. Wir fahren um Tavistock herum und biegen dann auf die Straße nach Plymouth.
»Also, was hast du gemacht?«, fragt Simon.
»Das erfährst du noch früh genug«, antworte ich und taste nach dem Pass in meiner Jacke.
WÜRSTCHEN
Die beiden Feuer waren heruntergebrannt. Baz schnarchte laut, das morgendliche Licht spielte in seinem pummeligen Gesicht. Alex’ Gewehr hielt er fest im Arm.
Saul und Alex hockten etwa sechs Meter entfernt hinter einem Stein, mit der aufgehenden Sonne im Rücken. Alex’ Handflächen waren schweißnass.
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