Bullet Boys
will ich ihr jedenfalls keine machen.
»Na klar. Mum hat gesagt, Gerry darf nie wieder mit dir reden.«
»Oh.« Ist das nicht ein bisschen übertrieben? Dass Gerry sich nicht die Mühe gemacht hat, mir das zu sagen, macht mich WÜTEND.
»Sie hat gesagt, wenn sie ihn dabei erwischt, dass er mit dir spricht, dann kriegt er sechs Monate lang kein Taschengeld«, fährt Rachel fort. »Und du weißt doch, wie wichtig Geld für Gerry ist.«
Ich nicke und versuche immer noch, diese Informationen zu schlucken, ohne weiteres Unheil anzurichten.
»Du hast mir noch nicht gesagt, warum du aussiehst, alswärest du gerade aus einem Abwasserkanal gestiegen.« Rachel kommt auf mich zu. »Du stinkst ekelhaft.«
Sie sieht älter aus. Sie trägt silbrige Jeans und eine schwarze Weste. Scheiße, Mann. Trotzdem, sie macht mir weniger Angst als der Soldat Baz, der vielleicht immer noch hinter mir her ist. Er könnte jetzt draußen vor der Tür stehen.
»Ich habe ein Problem«, gebe ich zu.
»Was für eine Überraschung!«, sagt Rachel. »Aber wenn du in fünfundvierzig Minuten immer noch hier bist, wirst du ein noch viel größeres Problem haben, dann kommt nämlich Dad zurück.« Von der Schießerei hat sie offensichtlich noch nichts gehört. Ich habe echt gedacht, mein böses Gesicht wäre bereits längst in allen Nachrichtensendungen gezeigt worden.
»Sag ihm nichts«, bitte ich.
»Natürlich nicht.« Rachel geht zum Kühlschrank, nimmt eine Cola raus und gibt sie mir.
Ich nehme alles zurück. Ab sofort ist Rachel bei mir die Nummer eins. Ich lasse den Verschluss knacken und trinke das kalte, spritzige Getränk. Meine Kehle saugt es auf.
»Ich bin auf der Flucht«, sage ich und fühle mich jetzt schon deutlich besser. »Es hat einen Unfall gegeben.« Ich blicke sie forschend an. Ich vermute, dass Rachel schon immer ein bisschen in mich verknallt war. Wie kann mir das jetzt weiterhelfen?
»Kann ich ein Brot haben?« Damit fange ich an.
»Klar«, sagt Rachel. »Mit Schinken oder mit Käse?«
Zwanzig Minuten später sause ich mit Gerrys Profi-Mountainbike los. Es hat achtzehn Gänge, einen 120 mm-Aluminiumrahmen, eine 2-Liter-Wasserflasche, 26-Zoll-Reifen,eine aufgemotzte Federung und hydraulische Bremsen. Soweit ich weiß, benutzt Gerry das Rad nie.
Ich biege von der Hauptstraße in eine kleine, steile Gasse. Das Essen und die Cola haben mich mit neuer Energie versorgt. Wenn ich ordentlich in die Pedale trete, bin ich in fünfundvierzig Minuten zu Hause. Ich habe diese Fahrt schon x-mal gemacht. Aber bevor ich weiterfahre, nehme ich das gestohlene Telefon aus der Tasche und rufe zu Hause an.
Beim letzten Klingeln, gerade als ich abbrechen will, geht jemand ran.
»Hallo?«
Ich erkenne die Stimme meines Bruders. Das hatte ich gehofft. Simon wollte heute nach Hause kommen und mit mir Mittag essen. Den Rest des Tages wollte er dann mit Andrea verbringen.
»Hallo?«
Auf einmal bin ich so überwältigt, dass ich keinen Ton herausbringe.
»Max. Das bist doch du. Wo bist du? Du solltest doch hier sein! Das ist ja vielleicht ein nettes Willkommen zu Hause.«
»Hast du’s nicht gehört?«, krächze ich. Das muss eine Falle sein.
»Was soll ich gehört haben?«
»Nichts. Hör mal, sind die Alten zu Hause?«
»Natürlich nicht. Die sind in Wales, das weißt du doch.«
»Sie sind nicht umgekehrt?«
»Nein. Hör mal, was soll denn das? Kommst du jetzt nach Hause? Ich bin heute Nachmittag mit Andrea verabredet. Wenn du nicht kommst, gehe ich gleich zu ihr.« Er klingt verärgert.
Aber warum weiß er nichts von der Schießerei?
»Ist die Polizei da?«
»Was?«
»Polizei. Kannst du bitte mal aus dem Fenster gucken, ob vor der Tür Polizeiautos stehen?«
»Max …«
»Tu’s einfach.«
Kurze Pause.
»Nein, Max, keine Polizeiwagen zu sehen. Warum …«
»Ich bin auf dem Weg nach Hause«, sage ich. »Geh nicht zu der Zicke, bis ich da bin.«
»Wie bitte?«
»Geh nicht, ich bin gleich da. Ich brauche deine Hilfe, Simon.«
»Was hast du nun schon wieder gemacht?«
Ich mache eine Pause. »Später.«
Ich fahre durch die schmalen Straßen außerhalb von Lydford bis zu unserem Haus in Sourton. Eine Stunde habe ich gebraucht. Meine Beine sind gefühllos vor Anstrengung.
Unser Haus steht in einem großen Garten, am Ende einer kurzen Sackgasse. Bevor ich dort einbiege, steige ich ab und schiebe das Rad in die Hecke. Dann schleiche ich vorsichtig weiter. Vielleicht überwacht die Polizei das Haus ja doch und Simon hat das
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