Bullet Boys
Und ich bekomme Essen und Wasser! Was für ein Quatsch. Ich habe einen Soldaten erschossen. In der Knasthierarchie werde ich ganz unten sein. Niemand wird Mitleid mit mir haben.
Ich gehe weiter.
Nach einer halben Stunde habe ich genug. Selbst Levis kuschelweiche Turnschuhe fangen an zu drücken. Und ichhabe Hunger, so einen Hunger, dass sich mein Magen verkrampft. Meine Arme reiben sich an meinem feuchten, dreckigen T-Shirt. Ich muss die Arme von mir abhalten, damit sie nicht scheuern. Aber egal, ich habe es geschafft, lebend aus dem Moor zu kommen.
Ich laufe über ein Feld, auf dem nichts außer sehr langem Gras wächst, das nur so wimmelt von scheußlichen Insekten. Jetzt sind es nur noch wenige Schritte bis zur Straße und bis zu dem Dorf Beardon.
Da wohnt Gerry.
Gerry – mein sogenannter bester Freund von der Risings, derselbe Freund, der seit meinem Rausschmiss nicht einen meiner Anrufe beantwortet hat. Jetzt ist Sonnabendvormittag, da wird er in der Schule sein und Tennis spielen. Er ist ein Turnierspieler, sein ganzes Zimmer wimmelt von Trophäen. Seine jüngere Schwester Rachel ist bestimmt auch in der Schule, bei irgendeiner Sporttortur, welche auch immer sie gerade bevorzugt. Ihre Mutter wird mit ihren Freundinnen im Two Bridges beim Mittagessen sein. Da treffen sie sich jeden Sonnabend. Also ist bestimmt niemand im Haus. In zwanzig Minuten müsste ich dort sein.
Ich bin da. Ich kenne mich hier gut aus. Bis vor zwei Monaten war ich fast jedes Wochenende hier. Jetzt bin ich ein Ausgestoßener. Meine Augen funkeln wütend.
Arschlöcher. Ich schiebe mich durch die Lücke in der Hecke, die Gerry und seine Schwester gemacht haben, und linse durch eine Ritze in der Tür vom Hintereingang. Da sind die alte Schaukel und der Wasserschlauch (Wasserschlachten). Und da ist das Haus mit seinen großen weißen, ausgestellten Erkerfenstern. Bei dem Anblick stößt mir wieder alles sauer auf. Gerry hätte mich anrufen sollen.Im oberen Badezimmer bewegt sich jemand; ein dunkler Schatten hebt sich vom Milchglas ab. Dann verschwindet der Schatten und erscheint unten an der Hintertür als Gerrys Vater George. Er ist ein etwas dicker dunkelhaariger Mann mit tiefbraunen Augen und behaarten Unterarmen. Er lacht viel, kann aber ganz schnell ausrasten. Für mich hatte er nie viel Zeit übrig. Gerrys Vater läuft um das Haus herum und geht vorne raus. Kurz darauf höre ich, wie ein Auto startet und davonfährt.
Vermutlich fährt er zur Risings, um seine geliebten und angebeteten Kinder von ihrem gesundheitsfördernden morgendlichen Sportprogramm abzuholen. In einem anderen Leben würde er auch mich mit hierhernehmen. Wir würden uns Eiscreme in riesige Schüsseln schaufeln, Schokoladensoße drüberkippen und dann im Garten alles gemütlich verspeisen. Oder wir würden uns den ganzen Nachmittag lang online abschlachten.
Ich klettere mit steifen Gliedern über den niedrigen, geschnitzten Holzzaun, lasse mich in den Garten fallen und schleppe mich über den Rasen. Ich öffne die Tür eines kleinen Schuppens und greife nach innen, nach dem Schlüssel. Ich blicke ihn an und wieder wallt eine Welle Zorn in mir hoch. Von ihr angetrieben schließe ich die Hintertür auf und betrete das Haus.
Gerrys Küche! Es ist so schön ruhig und kühl hier drinnen, und so sauber. Alles Gläserne blitzt hygienegesprayt, die Edelstahlflächen glänzen. Ich mache mich wieder mit der Spüle bekannt, bewege den Kaltwasserhahn und hänge meinen geschwollenen Kopf unter den Strahl. Der Kaltwasserschock ist fantastisch, es ist, als würde mir eine Eisfee mit seidigen Fingern über die Schläfen streichen. Bis jetzthabe ich noch nie darüber nachgedacht, wie verwunderlich es ist, dass man einfach einen Hahn aufdrehen kann und es kommt sauberes Trinkwasser heraus.
»Du siehst ja furchtbar aus!«
Ich schrecke so zusammen, dass ich mir den Kopf am Hahn stoße. Ich drehe mich um, Wasser tropft auf den Boden. Ein dunkeläugiges, etwa vierzehnjähriges Mädchen steht in der Tür.
Rachel. Sie war im Plan nicht vorgesehen.
»Tut mir leid«, sage ich. »Ich wollte dich nicht erschrecken.« Rachel ist vier Jahre jünger als Gerry und ich fand sie immer ziemlich nervig. Weil sie zum Beispiel immer so lässig dasteht, als würde sie sich über einen lustig machen.
»Du hast Hausverbot«, verkündet sie. »Und du machst mir keine Angst«, fügt sie hinzu.
»Hausverbot?« Ich stehe auf einmal so unter Strom, dass ich nicht weiß, was ich tun soll. Aber Angst
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