Bullet Catcher: Jack (German Edition)
mit aller Kraft darauf zu konzentrieren, wo sie war.
Charleston.
Vendue Inn Hotel.
Higgie.
Sie war allein.
Lucy schlug das mit ägyptischer Baumwolle bezogene Bett zurück, das ihr vor wenigen Stunden noch so einladend erschienen war, und ließ die kühle Nachtluft an ihre nackte Haut dringen. Sie griff nach einer angebrochenen Flasche Wasser und leerte sie gierig, als wollte sie versuchen, das Vakuum in ihrem Innern zu füllen, das der Traum hinterlassen hatte.
Doch das war unmöglich.
Wieder einmal war an Schlaf nicht zu denken.
Nackt ging sie durch das Zimmer, um aus dem Fenster zu sehen.
Es war die Nacht zum Sonntag, ein Uhr, und immer noch waren auf der Strandpromenade zahlreiche Touristen und gut gelaunte Barbesucher unterwegs. Von ihren Leuten war niemand dabei. Sie schliefen entweder längst, gingen noch einmal die penibel genau ausgearbeiteten Ablaufpläne für morgen durch oder prägten sich die Wege ein, die sie heute abgegangen waren, während sie sich mit dem Strom der Touristen in das Aquarium hatten spülen lassen.
Kein Zweifel, die Vorhut war dabei, sich auf die bevorstehende Aufgabe vorzubereiten. Ihre Mitarbeiter testeten die Headsets, prägten sich den Ablauf ein und übten die Rollen, die sie bei dem inszenierten Attentat einzunehmen hatten. Zweieinhalb Wochen lang hatten Jack und sie an der Choreografie gefeilt.
Den Samtvorhang zwischen den Fingern, blickte Lucy auf die feuchte Straße hinunter. Es regnete nicht mehr, doch offensichtlich hatte es geregnet, während sie schlief. Während sie von ihrem geliebten, süßen Baby träumte.
Sie musste raus. Sie musste vergessen.
Ohne sich einen weiteren Gedanken zu gestatten, griff sie zu ihrem Handy und wählte eine Nummer.
»Hotline gegen Schlaflosigkeit, Culver am Apparat.«
Trotz des Schmerzes in ihrer Brust musste sie lächeln. Dieser Kerl löste in aller Regelmäßigkeit Wut und Tobsuchtsanfälle bei ihr aus – und alle Abstufungen dazwischen –, und doch schaffte er es genauso regelmäßig, sie zum Lächeln zu bringen.
»Ich möchte, dass du mich an einen Ort führst, wo ich noch nie gewesen bin.«
»Ich dachte schon, du würdest nie fragen. Du wohnst in der Riesensuite im zweiten Stock, stimmt’s? Schließ schon mal die Tür auf und leg dich ins Bett!«
»Wir treffen uns in der Lobby«, entgegnete sie. »In zehn Minuten. Und lass mich nicht warten!«
Jack saß in einem üppigen Polstersessel unter einem Gemälde, in der dunklen Lobby nicht mehr als ein Schatten, ganz in Schwarz gekleidet, in Jeans und T-Shirt, und mit seinen schokobraunen Locken, die ihm bis zum Halsausschnitt fielen. Seine Wangen überzogen dunkle Stoppeln. Die vollen Lippen leicht geöffnet, ließ er seinen verschleierten Blick langsam über ihre Silhouette wandern, angefangen bei ihrem Gesicht, weiter über den Pulli und die Jeans bis hinunter zu ihren Stiefeln. Für den Rückweg nach oben nahm er sich besonders viel Zeit.
»Ich hab jetzt wirklich keine Lust auf Sightseeing, Luce. Können wir nicht einfach in eine Bar gehen, und ich betrinke mich schön langsam an deinem Anblick?«
Sie nahm seine Hand. »Zur Philadelphia Alley, Culver. Jetzt gleich.«
Sofort setzte er sich auf. »Wieso?«
»Ich will sehen, was Eileen gesehen hat. Und Wanda, in dem Moment, als sie starb.«
Er stand auf, legte ihr eine Hand auf den Rücken und führte sie zur Tür. »Wir können zu Fuß gehen. Es ist nur ein paar Querstraßen von hier entfernt.«
Der Herbst war noch nicht so weit in den Süden vorgedrungen. Noch lag die Feuchte des Tages über der Stadt, es roch nach Meer, Fisch und Regen. Jack führte sie über die East Bay Street und die Queen Street, und sie hielt leicht Schritt mit ihm, trotz seiner langen Beine, des holprigen Pflasters und ihrer Absätze.
Vor einem alten Sandsteinbau scharte sich eine Touristengruppe um einen Führer, der auf den zweiten Stock deutete und in raunendem Ton erzählte: »Sie kam durch einen Stromschlag um, dort oben auf dem Balkon, während eines schrecklichen Sturms. Man sagt, immer wenn es regnet, sieht man …«
Als sie an dem Grüppchen vorbei waren, nahm Jack Tempo auf. »Komm, wir sind als Erste dort!«
»In der Gasse?«
»Das ist bestimmt die Mitternachts-Gespenstertour.«
»Du meinst, die gehen wegen Wanda dorthin?« Der Gedanke überraschte sie.
»Unsinn. Wanda Sloanes Tod war ja nicht mal den Lokalzeitungen eine Schlagzeile wert.«
Jack verlangsamte seine Schritte, als sie sich dem Eingang der Gasse näherten, die
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