Bullet Catcher: Jack (German Edition)
zwischen einem stattlichen roten Klinkerbau und der drei Meter hohen Friedhofsmauer lag. Er umfasste Lucys Finger mit seiner großen Hand und trat in den dunklen Durchgang ein, ohne sie von seiner Seite weichen zu lassen.
Der lange, finstere Gang mit den ordentlich gemauerten Wänden schien menschenleer. Das andere Ende lag im schummrigen Schein einer Straßenlaterne. Der einzige weitere Zugang zu dieser Gasse war das Eingangstor des Friedhofs.
Seit dem Regen lag feiner Nebel in der Luft. Außer ihren gleichmäßigen Schritten war kein Laut zu hören. Lucy vergrub ihre Hand tiefer in Jacks Griff und versuchte, sich die Märznacht vorzustellen, in der Wanda Sloane ermordet worden war.
»Hat Eileen dir eigentlich je erzählt, warum sie nachts um eins hierherkam? Daran, dass sie hier war, gibt es wohl keinen Zweifel, oder?«
»Sie wollte nie darüber reden, was in jener Nacht passiert ist, aber sie hat hin und wieder unabsichtlich Hinweise darauf gegeben. Ich vermute, dass Higgie sie hierherbestellt hat. Den Prozessprotokollen zufolge hatte sie sich an jenem Tag mit Wanda in der Bürotoilette gestritten. Die Staatsanwaltschaft ging davon aus, dass Eileen wusste, dass Wanda hier in der Gegend wohnte und gern spätabends noch spazieren ging.
Lucy schüttelte den Kopf. »Kaum zu glauben, dass das bei keiner Revision je infrage gestellt wurde.«
»Nicht, wenn man bedenkt, wie viel Einfluss Spessard Higgins in dieser Stadt hat.«
Lucy sah sich prüfend um. Vor der Hintertür eines historischen Backsteinhauses stand ein ordentlich verschnürter Müllsack. Aus dem alten Kopfsteinpflaster waren ein paar Steine herausgebrochen, in denen sich Pfützen gebildet hatten. Doch im Großen und Ganzen schien die Stadt Charleston diesen abgelegenen Winkel ebenso gut zu behandeln wie den Rest ihres geschichtsträchtigen Bodens.
»Es ist sauber und ruhig hier und fühlt sich ziemlich ungefährlich an«, bemerkte sie. »Es spricht nichts dagegen, abends als Frau hier allein herumzuspazieren.«
»Damals schon. In den Siebzigerjahren war das hier alles ganz anders. Die Stadt war praktisch pleite, und diese Gasse war mit Sicherheit kein Touristenmagnet, es sei denn, jemand wollte zu den Prostituierten. Selbst der Zeuge, der gesehen haben will, wie Eileen zu ihrem Auto rannte – hier entlang« – er deutete zum entgegengesetzten Ende der Gasse –, »war ein bekannter Heroinsüchtiger. Davon stand übrigens nichts in den Protokollen. Das hab ich allein herausgefunden.«
»Du hast ziemlich viel allein herausgefunden.« Sie sog den Duft des Jasmins ein, der überall in der Stadt blühte. »Warum machst du dir all die Mühe?«
Er sah sie an. »Um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Warum sonst?«
»Ich meine, warum bedeutet dir diese Frau so viel?«
»Weil sie unschuldig ist.«
»Da steckt doch mehr dahinter. Irgendetwas Persönliches.«
Er drückte ihre Hand. »Ist nicht alles irgendwie persönlich, Lucy? Warum hast du mich angerufen?«
Apropos persönlich. Sie blieb vor dem schmiedeeisernen Tor stehen. »Ist das hier die Stelle? In den Akten steht, dass am Friedhofstor ihre Fingerabdrücke gefunden wurden, es gab aber keine Fotos davon.«
»Ja. Die Abdrücke waren genau hier.« Er berührte die Klinke und drückte sie herunter. »Das Tor ist nachts nie abgeschlossen, das war schon damals so. Ist dir bei meiner Zeichnung aufgefallen, dass die Fingerabdrücke in diese Richtung weisen?« Er zeigte Lucy, wie Eileens Hand ausgerichtet gewesen sein musste.
»Das bestätigt die Annahme, dass sie auf dem Friedhofsgelände gewesen sein muss, als sie das Tor anfasste«, sagte Lucy. »Gehen wir rein.«
Sie betraten den Friedhof, wo hundertjährige Weiden und imposante Eichen alles in dunkle Schatten tauchten. Von den Jahren glatt geschliffene Gedenktafeln aus Marmor und vermooste Grabsteine bedeckten beinahe den gesamten von Wurzelwerk durchzogenen Grasboden. Es roch nach Erde, Gras und Regen. Und nach Tod.
»Gruselig«, flüsterte Lucy und schmiegte sich unwillkürlich in den Arm, den ihr Jack um die Schultern gelegt hatte.
»So gruselig, dass man sich fragt, wieso eine junge Frau, die draußen in der Gasse auf ihren verheirateten Liebhaber wartet, auf die Idee kommt, hier hereinzukommen.«
»Es sei denn, sie hat auf die neue Geliebte ihres verheirateten Liebhabers gewartet, um sie zu töten … und hat ihr hier drin aufgelauert.«
»Oder sie wartete auf den Mann, der sie im Stich ließ, nachdem er sie gezwungen hatte, ihre Babys
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