Bullet Catcher: Jack (German Edition)
Frage. »Leibhaftig.«
»Wen hast du da mitgebracht?« Eileen neigte ihren Kopf leicht nach rechts, um Lucy anzusehen. Ihre Augen weiteten sich, als sie sie erkannte. »Oh, ich habe viel von Ihnen gehört. Sie sind Lucy.«
Zum dritten Mal binnen einer Minute war Lucy fassungslos. »Ja«, sagte sie. »Und ich habe viel von Ihnen gehört, Eileen.«
»Sie haben geholfen, meine Töchter zu finden«, sagte sie. »Danke dafür.«
Lucy legte ihre Hand auf Eileens. »Dass meine Firma geholfen hat, geht allein auf Jacks Initiative zurück; hinzu kommt, dass sich Miranda und Vanessa in die Jungs verliebt haben, die für mich arbeiten. Sie gehören jetzt gewissermaßen zur Familie.«
Trotz des Schmerzes auf ihrem Gesicht gelang Eileen ein warmes Lächeln. »Sind sie nicht alle wunderschön?«
»Das sind sie«, stimmte Lucy zu. »Und dazu tatkräftig und intelligent.«
»Wie geht’s dir, Eileen?«, fragte Jack. »Wie war die Fahrt vom Krankenhaus hierher?«
»Okay. Aber Risa ist nicht mehr da.«
»Ich weiß.«
»Ich mag die Neue nicht«, flüsterte sie kaum hörbar. »Sie ist eine Kratzbürste.«
»Ich weiß«, flüsterte Jack zurück.
Irgendetwas ging vor zwischen den beiden, eine stumme Form der Verständigung, die Bände über ihr Verhältnis sprach. Etwas so Starkes, dass Lucy unwillkürlich Zweifel kamen. Wenn ihre Verbundenheit so tief war, warum hatte Eileen ihm dann immer noch nicht die ganze Wahrheit erzählt? Ließ er sich von ihr an der Nase herumführen?
»Hey, ich habe gehört, du hast meinen Kumpel Fletch kennengelernt«, sagte Jack, zog einen Stuhl für sich heran und bedeutete Lucy, das Gleiche zu tun.
»Der mit dem Akzent.«
»Genau.« Jack rückte näher. »Er hat mir erzählt, du hattest eine ganz besondere Besucherin hier.«
Eileen presste sofort die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf.
»Sie war hier, nicht wahr? Hast du ihr etwas erzählt, das du noch nicht einmal mir erzählt hast?«
Eileens ohnehin totenbleiche Haut wurde noch weißer. Sie schloss die Augen und versuchte zu schlucken.
»Jack«, sagte Lucy leise, »hör auf!« Er hatte keine Ahnung, in was für einen finsteren Abgrund diese arme Frau gestürzt war. Es ließ sich mit Worten nicht beschreiben.
Allein bei dem Gedanken daran tat sich auch Lucys eigener Abgrund wieder vor ihr auf, und sie spürte den vertrauten Schmerz in ihrem Bauch.
Eileen warf ihr einen dankbaren Blick zu. »Ich kann noch nicht über sie sprechen«, flüsterte sie.
»Ich weiß«, sagte Lucy und nahm ihre Hand. Nur eine Frau, die ihr Kind verloren hatte, konnte diesen Schmerz ermessen. Selbst wenn sie dieses Kind nie kennengelernt hatte.
»Oh doch«, beharrte Jack. »Du brauchst keine Angst mehr zu haben. Und, Eileen … sie ist …«
»Jack!« Lucy funkelte ihn an. »Komm bitte eine Sekunde mit mir nach draußen.«
Er sah sie an, als wollte er widersprechen, doch irgendetwas in ihren Augen ließ ihn stumm bleiben und ihr nach draußen folgen.
»Lucy, ich muss wissen, wer bei ihr war und wann sie hier war …«
»Wage es nicht, dieser Frau falsche Hoffnungen zu machen«, zischte Lucy. »Wenn die Wahrheit herauskommt, stürzt sie das wieder in tiefste Verzweiflung. Begreifst du das denn nicht? Es könnte sie umbringen.«
»Und was, wenn ich recht habe, Lucy? Ich weiß, dass du es für schlichtweg unmöglich hältst, dass jemand mehr wissen kann als du – aber was, wenn ich recht habe?«
»Dann kannst du es ihr sagen, sobald du Gewissheit hast – ohne Gefahr zu laufen, sie vorher damit kaputtzumachen.«
Er musterte ihr Gesicht lange und streng, während er über ihre Worte nachdachte. Seufzend sagte er schließlich: »Okay, gut. Ich werde mit der Schwester reden und mit der Aufseherin. Hoffentlich lassen sie mich einen Blick auf die Besucherliste aus dem Krankenhaus werfen. Geh du derweil zu ihr rein.«
Lucy sah ihm nach, wie er sich durch den Flur entfernte, und ging dann mit klopfendem Herzen zurück in das Krankenzimmer.
Sie hasste dieses Thema, diesen Schmerz, diese Erinnerungen.
»Jack will mit der neuen Schwester sprechen«, sagte Lucy.
»In der ersten Zeit im Gefängnis«, erwiderte Eileen und wandte Lucy ihren Blick zu, »hatte ich Fantasien. Jetzt habe ich Jack.«
Lucy lachte leise. »Er ist ziemlich gut geeignet für weibliche Fantasien, das kann ich Ihnen sagen.«
»Das meine ich nicht«, sagte Eileen. »Ich meine Fantasien vom … Freisein.«
»Eileen.« Lucy schloss ihre Finger um das Alu-Bettgestell und atmete durch.
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