Burakkuboru: Die kleine süsse Überraschung (German Edition)
ein
seltsames Programm, das uns ermöglicht, stundenlang vor einem Bild zu sitzen,
mehr oder weniger begeistert, sich Gedanken zu machen über die Ästhetik der
Formen, der Kompositionen und der Kontraste, ohne dass es eine sonderbare
Wichtigkeit für das Überleben hätte? … Aber eigentlich doch nicht so lange.
Nicht stundenlang. Bald verliert das Hirn das Interesse an unbeweglichen
Bildern, rekonstruiert, reaktualisiert die Prioritäten und malt sich die
Bewegung dazu, vorher die Wahrnehmung der visuellen Umgebung abgeschaltet oder
auf Hintergrundmodus umgestellt. Nein. Bewegung ist nicht genug. Veränderung
muss es geben. Eine sich wiederholende Bewegung empfindet mein Gehirn als ein
vierdimensionales, stilles Bild. Das Feuer unten ist räumlich gesehen nicht
still, ermüdet mich trotzdem, da sich in meinen Augen nichts verändert. Das Interesse
geht verloren, sobald Monotonie einsetzt. Keine neue Informationen – kein
Lerneffekt, kein Grund stehen zu bleiben. Es gibt so viel zu lernen auf der
Welt, wozu sich an Einzelheiten festklammern.
Am Flughafen ist viel Platz. Gut zum Lernen. Auch wenn es
mittlerweile kinderleicht sein soll, besser Vorsicht, als Nachsicht. Ich will
vorerst nicht sterben, in dem ich zum Beispiel wegen einer zu hektischen
Hebelbewegung gegen ein Gebäude knalle. Mir fehlen nur noch die Schlüssel.
Im Nachhinein weiß man es immer besser. Die Hubschrauber
am Flughafen benötigen keine Schlüssel, sind stattdessen mehrfach
alarmgesichert. Dafür kenne ich mich jetzt am Flughafen besser aus. Auch wenn
es mir kaum noch etwas bringt. Die Senkrechtstarter, die da stehen, sehen
allesamt anders aus, als der von Abeni. Mir wurde also … oder wird ein Bär
aufgebunden. Was soll’s. Ich werd’s überleben. Die Wahrheit spielt eine immer
geringere Rolle, während sie immer weniger weh tut. Ich fühle mich nicht
bedroht, wozu also die Wahrheit. Fühle mich auch nicht betrogen und auch für
nichts verantwortlich. Ich muss niemanden erziehen und niemanden aufklären. Was
macht noch den Unterschied zwischen Wahrheit und Phantasie aus.
Ich habe grade drei Stunden gebraucht, um nach den Schlüsseln
zu suchen, die es nicht gibt. Die nächsten drei Stunden habe ich eingeplant, um
autodidaktisch das Fliegen zu lernen. Ich finde die Bedienungsanleitung
nirgends. Doch ich werde diesen Hubschrauber nicht mehr verlassen, bis ich
abgehoben bin, beziehungsweise die Energie ausgeht. Zum Glück stehen hier noch
sieben Stück und drüben am Parkplatz noch acht. Ich schaffe es schon.
Autodidaktik ist Zeitverschwendung, hätten viele früher
gesagt. Es ist interessant. Jetzt ist Zeitverschwendung fast eine Lebensaufgabe,
eine Lebensphilosophie. In meiner Situation beinahe der einzige Sinn jeglicher
Anstrengung. Plötzlich ergibt das Beibringenlassen viel weniger Sinn, da man
doch durch selbständiges Lernen viel mehr Zeit verschwenden kann. Die weiterhin
sinnvolle Komponente der Nachhilfestunden ist die Kommunikation. Doch nur
solange es Spaß macht.
Es sind nicht zwanzig Minuten vergangen, schon bin ich in
der Luft. Kinderleicht. Bewege mich im Schneckentempo. Daran muss ich noch
arbeiten. Muss ein Mal über den Glaspalast, Sachen aus dem Burano holen.
Schade, dass der Wagen nicht reinpasst. Der gefällt mir. Jeder sollte so was
haben. Gehabt haben. Dürfen gehabt haben. Aber. Eigentlich bin ich unterwegs
zum heiligen Kamikaze. Mit dem Schrauber sollte ich in einem Tag dort sein
dürfen. Dafür müsste ich zwar etwas schneller fliegen, aber ganz ruhig. Eins
nach dem Anderen. Lasst mich doch ein wenig Zeit verschwenden.
Ich fliege eindeutig in die falsche Richtung. Die Strecke
nach Osten ist zwar kürzer, doch nun geht die Sonne unter. Wäre ich nach westen
geflogen, wäre ich vielleicht doppelt so lang unterwegs, müsste dafür eventuell
nicht im Dunkeln fliegen. Denn ich kann mich kaum orientieren, wenn ich nach
hundert Metern nicht mehr Wasser vom Land unterscheiden kann. Sich an den
Sternen zu orientieren habe ich auch nie gelernt. Wird langsam Zeit. Durchaus.
Am einfachsten ist es freilich, der Sonne nach zu fliegen. Sie hat eine klare,
unmissverständliche Bahn, feste, zeitgenaue Drehzeiten und ist zumindest an den
sonnigen Tagen unverfehlbar.
Doch nun ist es zu spät. Es wird dunkel. Bald sehe ich
nichts mehr. Ich muss eine Entscheidung treffen. Eins, zwei - fertig. Ich lande
da, wo viel los ist… Guter Scherz – ich weiß. Ich rekombiniere meine
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