Burgfrieden
niemand etwas hatte deponieren können und sie daher Opfer eines Scherzes geworden waren.
Erwartungsvoll hatte Jenny zu Lenz hingeschaut, der etwas betreten gewirkt hatte. Ob es an ihrem wenig diplomatischem Vorgehen oder an der Reaktion seiner Schwester gelegen hatte, vermochte sie nicht zu sagen. Unvermittelt hatte er den Stuhl aus massivem Holz zurückgeschoben und sich zu seiner vollen Länge aufgerichtet.
»Gehen wir in die Kirche. Werden wir nachsehen.«
*
Vor der Tür, die in das Büro von Direktor Blasius Botsch führte, stand Francesca Rossi und lauschte. Es war eine Schande! Zuerst Speranza und jetzt der Professor. Nicht, dass sie Arthur Kammelbach auf eine Stufe mit dem Bauarbeiter gestellt hätte. Neanche per sogno! Nicht einmal im Traum war daran zu denken, im Gegenteil. Der Professor war ihr mit seiner feinen Art äußerst sympathisch und flößte ihr ob seines hohen Ranges durchaus Respekt ein. Die Verantwortung für ihre unwürdige Situation lag einzig und allein bei Blasius. Es war nun schon das zweite Mal innerhalb kurzer Zeit, dass er sie von einem wichtigen, die Zukunft der Burg betreffenden Gespräch ausschloss.
Dabei hatten sie sich zu Beginn ihrer Liaison alles in so prächtigen Farben ausgemalt. Zunächst hatte Blasius, ganz wie es sich gehörte, um Francescas Hand angehalten. Schon bald, nachdem sie den Posten als seine Assistentin angenommen hatte, hatte er damit begonnen, ihr den Hof zu machen. Sie war damals noch verheiratet gewesen, und als gläubige Katholikin wären für sie weder Scheidung noch Ehebruch in Frage gekommen. Nachdem ihr Mann aber früh gestorben war, hatte sie die Galanterien ihres Chefs in einem anderen Licht gesehen und schließlich seinem unermüdlichen Werben nachgegeben. Zwar war sie damals schon in einem Alter, in dem an Familienplanung nicht mehr zu denken war. Doch Blasius hatte sich über die Verpflichtung, die ihm als einzigem männlichem Nachkommen eines alten Südtiroler Adelsgeschlechts auferlegt war, hinweggesetzt und seine Familie vor die Tatsache gestellt, dass er Francesca und keine andere zu ehelichen gedenke.
Schließlich wäre einer Heirat nichts mehr im Wege gestanden, als sie sich beide einer Konsequenz bewusst geworden waren, an die sie bisher in ihrer Verliebtheit nicht gedacht hatten: Das private Bündnis offiziell zu machen, hätte unweigerlich das Ende ihrer engen beruflichen Beziehung zur Folge gehabt. Denn weder das Assessorat in Bozen noch die Kollegen hätten diese Konstellation auf Dauer gebilligt. Für Francesca hätte das das Ende ihrer Karriere und den Abschied von ihrem heißgeliebten Burgmuseum, das sie gemeinsam mit Blasius aufgebaut hatte, bedeutet. Er wiederum hätte seine tüchtigste und loyalste Mitarbeiterin verloren. Rasch waren sie sich einig gewesen, dass derartige Unannehmlichkeiten ihr Glück nur trüben würden. Was sprach schließlich dagegen, weiterhin ein heimliches Liebespaar zu bleiben und ihre in jeder Hinsicht erfolgreiche Zusammenarbeit fortzusetzen?
Kurz und gut, sie hatten ein Arrangement getroffen, mit dem sie beide seit Jahren äußerst zufrieden waren. So hatte es zumindest den Anschein gehabt. Noch bis vor wenigen Wochen wäre Francesca bereit gewesen, ihre Hand für Blasius’ unverbrüchliche Liebe ins Feuer zu legen. Momentan war sie sich aber nicht mehr so sicher, ob sie sich dabei nicht verbrennen würde. Zu oft hatte er sie in letzter Zeit durch sein mangelndes Vertrauen brüskiert.
»Frau Dr. Sommer und mein Assistent sind immer noch unterwegs, um die Handschrift zu suchen. Ich kann es nicht verantworten, wenn wir die beiden länger der Gefahr aussetzen.« Der Professor hatte laut und mit großem Nachdruck gesprochen. Das und die Tatsache, dass sie die schwere Eichentür einen klitzekleinen Spalt offen gelassen hatte, versetzten Francesca in die Lage, etwas zu verstehen.
Blasius antwortete in seiner typischen Art: Ein wenig geschraubt und umständlich, aber doch so liebenswert. Er war eben ein Mann, der sich auszudrücken wusste. Dass er alles tat, um die Burg zu schützen, war mehr als verständlich. Aber dass die nette Frau Doktor – Francesca hatte sie gleich in ihr Herz geschlossen im Gegensatz zu der verknöcherten Dozentin, die sich so aufgespielt hatte – da draußen mit dem Rad herumfuhr, konnte sie nicht gutheißen. Das war doch viel zu anstrengend für so eine zarte Frau. Na, wenigstens war der Assistent bei ihr. Der war ja von hier und kannte sich zumindest aus. Ob aus
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