Burgfrieden
keineswegs entgangen, dass sein Assistent ein Auge auf Jenny geworfen hatte. Nun schien es ganz so, als wäre sie ihrerseits geneigt, ihm ihre Gunst zu schenken. Der Professor war sich im Klaren darüber, dass dagegen prinzipiell nichts einzuwenden war. Im Gegenteil, er hatte ja sogar anfangs gehofft, dass die beiden sich gut vertragen würden. Es wäre ihm allerdings lieber gewesen, die beiden hätten sich einen anderen Zeitpunkt für das Aufkeimen ihrer Gefühle ausgesucht. Er konnte nur hoffen, dass sie noch so lange einen kühlen Kopf bewahrten, bis die Sache ausgestanden war. Er baute auf die zwei, sie durften ihn jetzt nicht im Stich lassen. Arthur straffte sich.
»Da seid ihr ja. Hoffentlich seid ihr nicht zu erschöpft. Ich habe euch etwas Wichtiges zu sagen.« Damit nahm er in einem der Lederfauteuils Platz und bedeutete Lenz und Jenny, es ihm gleichzutun.
Weder seine Ankündigung noch seine einladende Geste erzielten die gewünschte Wirkung.
»Stell dir vor, ich wäre oben am Ritten beinahe mit dem Bauarbeiter zusammengestoßen. Der wollte sich mit zwei riesigen Einkaufssäcken davonmachen.« Jenny war mitten im Zimmer stehen geblieben und sah Arthur erwartungsvoll an. Der war von der Wendung des Gesprächs nicht gerade begeistert, hatte er die beiden doch gerade in die neuesten Entwicklungen einweihen wollen. Dennoch setzte er an, Jenny zu fragen, ob sich denn auch ein Manuskript in einer der Tüten befunden hätte, als Lenz, der ebenfalls noch stand, einstimmte:
»Glauben wir aber nicht, dass Speranza die Handschrift gestohlen hat.«
Offenbar hatten sie die Zeit des Reifenflickens auch dazu genutzt, eine Theorie zu schmieden. Arthur hätte gerne gewusst, wie sie zu ihrer Schlussfolgerung gekommen waren, als Jenny wieder das Wort ergriff:
»Der Kalabrese ist vermutlich ein Hehler, der mit dem Küchenpersonal einiger Restaurants irgendwelche krummen Dinger dreht. Vielleicht ist er sogar ein Dieb, aber mit dem Verschwinden des Manuskripts hat er nichts zu tun.«
Jenny sah Lenz aufmunternd an, der jetzt sagte:
»Auch nicht Mordred, Tina und Lukas. Hab’ ich sie am Ritten getroffen, wollten sie zu den Erdpyramiden.«
Arthur hatte das Gefühl, dass er langsam den Überblick verlor. Er wusste ja bereits, dass die Studenten den Tag für einen Ausflug auf den Hausberg der Bozner genutzt hatten. Aber wenn man Lenz und Jenny Glauben schenkte, dann musste es da oben ja zugegangen sein wie in einem Bienenhaus. Fakt war jedenfalls, dass die Tatsache, dass Lenz die Studenten getroffen hatte, diese noch lange nicht von jedem Verdacht entlastete. Und was es mit Speranza auf sich hatte, war ihm ohnehin völlig undurchsichtig.
»Ehrlich gesagt kann ich euch nicht ganz folgen. Bitte setzt euch und lasst uns die Sache noch mal von Anfang an durchgehen.« Arthur klopfte einladend auf die Ledercouch, die im rechten Winkel zu seinem Fauteuil stand. Diesmal leisteten sie seiner Aufforderung umgehend Folge. Jenny setzte sich als Erste, Lenz nahm neben ihr Platz. Während sie die Beine in den eng anliegenden kniekurzen Sporthosen, die sie immer noch trug, übereinanderschlug, begann sie zu sprechen:
»Wir glauben, dass Speranza etwas auf dem Kerbholz hat, und wir sind auch sicher, dass die Studenten keine reinen Unschuldslämmer sind. Aber weder er noch sie haben mit dem Verschwinden der Handschrift etwas zu tun.« Sie seien zu der Überzeugung gelangt, fuhr sie fort, dass die Pläne mit den Rätselsprüchen, die sie gefunden hatten, von zwei verschiedenen Verfassern stammten. Diese Erkenntnis und die Tatsache, dass die Studenten wieder ein Herz und eine Seele seien, lege den Schluss nahe, dass es sich bei der ganzen Sache um einen Streich handle, den zwei oder sogar alle drei von ihnen ausgeheckt hatten. Das sei zwar nicht gerade ruhmreich, aber auch nicht kriminell. Speranza wiederum, den sie zweimal bei äußerst fragwürdigen Transaktionen beobachtet hatten, betreibe offenbar gemeinsam mit Bediensteten verschiedener Gastronomiebetriebe eine Art Hehlerring, in dem gestohlene Lebensmittel zu Bargeld gemacht würden. Das sei nun wiederum auf jeden Fall strafrechtlich verfolgbar, nütze ihnen aber für das Wiederauffinden der Handschrift herzlich wenig.
»Deshalb und noch aus einem weiteren Grund sind wir zu dem Schluss gekommen, dass es nur einen einzigen möglichen Täter gibt, der Motiv und Gelegenheit hatte, die Handschrift verschwinden zu lassen.« Jenny nickte Lenz zu. Als hätten sie die Rollen vorher
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