Burnout vorbeugen und heilen
sie überhaupt zweifelsfrei wissen und was sie „lediglich“ glauben. Wissen und Glauben voneinander zu unterscheiden bleibt eine ständige Aufgabe und hilft uns, uns von unreflektierten Glaubensüberzeugungen – seien es unsere eigenen oder die von anderen – frei zu machen und eine Religiosität und Spiritualität zu entwickeln, die geerdet bleibt und nicht ins Fantastische abhebt.
Reife Spiritualität stellt sich dem lebendigen Prozess der Entwicklung und hilft Menschen, sich zu eigenständigen Wesen in einer Gemeinschaft zu entwickeln und ihre Potenziale zu entfalten. Exerzitien, Pilgerfahrten, Achtsamkeits- und Meditationsübungen und andere vielfältige Formen der reifen Spiritualität sind ausgesprochen hilfreich für das bewusste Wahrnehmen und Einschätzen unserer selbst und unserer Umgebung. Sie helfen, Burnout vorzubeugen und zu heilen.
Beispiel: Frau J.
Frau J., die ich wegen eines beginnenden Burnout-Syndroms begleitete, entschied sich, den Jakobsweg zu gehen. Sie kam erholt, sehr angeregt und nachdenklich von der ersten Reise zurück. Ein Jahr später ging sie zum zweiten Mal den gleichen Weg. Angekommen, schrieb sie mir:
„Ein wesentlicher Teil von mir läuft noch immer auf dem „Camino“ nach Santiago. Verrückt? Nein, für mich ist dies eine Metapher für meinen Weg, mein Leben und letztendlich die Suche nach mir selbst. Das Pilgern ist körperlicher Ausdruck meiner Suche, der Weg verkörpert die Sehnsucht nach mir. Die Suche ist so für mich ein Stück fühlbar geworden. Ich suche einen neuen Anfang, ich suche meine Wertvorstellungen, ich suche den Weg zu mir. Im Gehen liegt der Schlüssel zur Dimension der Erfahrung des eigenen Körpers. [...]
Mein Aufbruch zum Camino, die Woche im letzten September und in diesem Juni, passt zu meinem inneren Aufbruch. Im nächsten Jahr werde ich noch bewusster den Weg gehen und mir Zeit nehmen. Meine Wahrnehmung wird immer besser, auch im täglichen Leben. Die beiden Wochen sind wie Ausflüge in eine neue Welt gewesen. Noch bin ich unsicher und kehre zurück, halte mich an Altbekanntes.
Man sagt, der Camino sei wie das Leben. Alles, was man in seinem (Lebens-)Rucksack mit sich herumtrage, belaste. Loslassen, Konzentration auf das Wesentliche. Kontakt zu Menschen, das Miteinander, Kontakt zur Natur, zu einem selbst und – für mich überraschend – auch zu Gott.“
In der nächsten Weiterbildungsgruppe stellte sie offen die Frage und wir tauschten uns über unsere Gottesbilder aus.
„Das Gehen ist der Schlüssel zu mir. Ich habe mir Zeit genommen, meinen Gehrhythmus zu finden. Den richtigen Rhythmus, der zu mir passt, die richtige Geschwindigkeit. [...]
Ich habe erfahren, welchen Wert ich als Person in meinem Sosein haben kann. Das ist eine sehr schöne, wenn auch für mich immer noch gewöhnungsbedürftige, Erfahrung. Es fühlt sich gut an. Während ich diesen Satz schreibe kommen mir die Tränen, ist es doch das, was ich in der Vergangenheit – und auch heute im Alltag – oftmals vermisse oder auch manchmal nicht wahrnehmen kann, weil ich gelernt habe, dass ich nur etwas wert bin, wenn ich etwas tue oder leiste, aber nicht einfach bin.“
Tipps
Halten Sie bewusst inne.
Nehmen Sie Stille wahr.
Genießen Sie Orte der Stille.
Suchen Sie einen Ort in der Natur auf, der Ihnen angenehm ist.
Suchen Sie regelmäßig einen Ort in der Natur auf, wo Sie das Gefühl haben, zu sich zu kommen und Energie aufzunehmen.
Erlauben Sie sich Ihre eigene individuelle Sicht Ihrer selbst und der Welt.
Erlauben Sie sich, Zweifel und Krisen zu erleben und sich selbst ihren Sinn zu geben.
Nehmen Sie bewusst die fortlaufende Entwicklung Ihrer eigenen Werte wahr.
Üben Sie Ihre Eigenständigkeit im Bereich der Spiritualität. Tun Sie dies in der Gemeinschaft und im Gespräch mit anderen.
Gestatten Sie es sich, Ihre eigenen Vorgehensweisen, Ihre eigene Sicht der Welt zu haben und sich dennoch mit anderen verbunden zu fühlen.
Suchen Sie Menschen auf, die Sie nicht (wieder) bevormunden, sondern Sie begleiten und Ihnen beistehen in Ihren Konflikten und Krisen, in Ihrer Verzweiflung und Enttäuschung. So kommen Sie wirklich zu sich selbst und können in Beziehung zu anderen gehen.
Suchen Sie sich bewusst Menschen aus, mit denen Sie zusammen sein wollen.
2.16 Wichtigkeit und Gewichtung der verschiedenen Lebensbereiche
Eine sehr entscheidende Erkenntnis war für mich die Beobachtung, dass Menschen ihre Probleme chronisch beibehalten und zu keinen Lösungen in der Balance der
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