Burnout vorbeugen und heilen
wir auf etwas zugehen, durch aktives Interesse, an uns selbst, an anderen und der Welt, durch Einflussnehmen und Gestalten. Eigenständigkeit hingegen entsteht, indem wir uns abgrenzen, ausdrücken, was wir nicht wollen, und das Nicht-Gewollte verhindern. Wenn Menschen sich zu wenig abgrenzen und behaupten, büßen sie ihre Eigenständigkeit auf Kosten einer überangepassten Verbundenheit ein. Sie fühlen sich dann auf negative Weise abhängig und fremdbestimmt. Wenn Menschen sich zu sehr abgrenzen, sich zu wenig verbinden und zu wenig auf andere beziehen, sind sie zwar eigenständig, jedoch auf Kosten der Verbundenheit, und sie fühlen sich einsam und isoliert.
Interessanterweise sehen Menschen in unserer Kultur diese beiden Seiten einer Beziehung nicht als zueinander gehörende Seiten einer Medaille, sondern meist als miteinander nicht vereinbare Gegensätze und verhalten sich dementsprechend: Sie sehen und fühlen sich in Beziehungen immer wieder als ausgeliefert und unterworfen und / oder als einsam und isoliert. Und natürlicherweise wehren sie sich gegen das Ausgeliefertsein, die Verschmelzung, aber auch gegen Einsamkeit und Isolation. Da sie nicht wissen, wogegen sie sich eigentlich wehren und dass die Entwicklung von Verbundenheit und gleichzeitiger Eigenständigkeit in ihnen selbst vonstattengehen müsste, wehren sie sich gegen ihren Beziehungspartner, gegen die Beziehung überhaupt und trennen sich schließlich. In der nächsten Beziehung kommen sie nach einer länger oder kürzer dauernden Verliebtheitsphase wieder an den Punkt, Verbundenheit und Eigenständigkeit nebeneinander und miteinander zu leben. Für die Eigenständigkeit brauchen sie die Fertigkeit, sich selbst zu behaupten und sich abzugrenzen; für die Verbundenheit die Fertigkeit, sich einzulassen.
Eine sehr schöne Veranschaulichung unserer in dieser Beziehung negativ geprägten Gewohnheitskultur liefert uns das Märchen vom Froschkönig der Brüder Grimm. Wissen Sie, wodurch der Frosch zum Prinzen verwandelt wird? Erinnern Sie sich! Der Frosch verwandelt sich in einen Prinzen, weil die Prinzessin
In der Urfassung des Märchens (1812) schreiben die Brüder Grimm über die Königstochter: „Sie packte den Frosch mit zwei Fingern und trug ihn hinauf in ihre Kammer, legte sich ins Bett und statt ihn neben sich zu legen, warf sie ihn bratsch! an die Wand. ,Da, nun wirst du mich in Ruhe lassen, du garstiger Frosch!‘ Aber der Frosch fiel nicht tot herunter, sondern wie er herab auf das Bett kam, da war’s ein schöner junger Prinz.“
Durch eine Abgrenzung, ein Nein, eine aktive Distanzierung, geschieht die Verwandlung, nicht durch einen Kuss, nicht durch ein Ja, wie die überwiegende Mehrheit meint. Die Urfassung des Märchens wurde verändert, der Wurf an die Wand durch einen Kuss ersetzt. Das Nein wurde den Menschen, der Beziehung, der Liebe abgesprochen. Das Nein gehört jedoch unabdingbar zur Beziehung und zur Liebe dazu. Das Ja, das Einlassen, schafft Verbindung; das Nein, die Abgrenzung, schafft Eigenständigkeit in der Verbundenheit; beides trägt zur Selbstbehauptung bei. Beides gehört unabdingbar zusammen, denn nur so werden Liebe und Freiheit möglich.
Wenn Menschen beide Seiten leben und miteinander verbinden, lernen sie, Macht für sich in konstruktiver Weise anzunehmen und zu leben. Sie lernen, zwischen Macht ohne Ausbeutung und Macht mit Ausbeutung zu unterscheiden. Meistens erleben und leben Menschen in unserer Kultur Macht in ihrer negativen Form: Macht, die mit Unterlegenheit und Überlegenheit gleichgesetzt wird. Es gibt die eine oder die andere Seite. Mal ist man unterlegen, mal überlegen. Unterlegenheit wird mit Überlegenheit zurückgezahlt. Der Preis der Unterlegenheit ist die Aufgabe eigener Interessen und des eigenen Selbst, der Preis der Überlegenheit ist persönliche Unverbundenheit, Einsamkeit und Isolation.
Aber wie kann man aus diesem Szenario aussteigen? Wenn wir einander uns – unabhängig von unserer Rolle in irgendeiner Hierarchie – auf Augenhöhe begegnen; wenn wir Einfluss nehmen und uns gleichzeitig einlassen.
Warum fällt es Menschen so schwer, sich einzulassen?
Sich einlassen, nachgeben, sich oder anderen etwas eingestehen, eine Schuld zugeben: All das wird meist als Demütigung empfunden. Warum? In der in unserer Kultur meist üblichen Erziehung werden Fehler oder Versagen bestraft und Kinder und Erwachsene in solchen Situationen gedemütigt und beschämt. Wer solche Erfahrungen machen
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