Bushido
»So wie ich die Lage hier einschätze, werden wir gleich richtig krass auf die Fresse bekommen. Aber bevor das passiert, müssen wir auf jeden Fall diesen behinderten Affen umboxen.«
»Sehe ich auch so!«
Wir positionierten uns schon zum Kampf, als aus dem gegenüberliegenden Club der Manager von phreQuincy, einem Hamburger Hip-Hop-Produzenten, angerannt kam und sich beschwichtigend zwischen die Fronten stellte.
»Geht doch einfach weg!«, forderte er uns auf. »Dann gibt es auch keinen Streit.«
»Nein, Mann. Wir gehen nirgendwo hin. Wir bleiben genau hier stehen und wer damit ein Problem hat, der kann ja gern herkommen.«
»Aber Bushido, dann gibt es eine Schlägerei!«
»Na, und? Dann gibt es halt eine Schlägerei. Ich bin Berliner. Glaubst du ernsthaft, ich ziehe jetzt den Schwanz ein? Dann glaubt ihr Hamburger am Ende noch, ihr hättet uns besiegt. Nie im Leben wird das passieren, Alter!«
Als wäre nicht schon genug Trubel am Start, rückte im nächsten Moment auch noch die Polizei an. Ein Mädchen hatte sie per Handy gerufen. Einer der Bullen kam direkt auf mich zu.
»Sind Sie der Berliner Rapper?«
»Bin ich.«
»Man hat sich über Sie beschwert. Ich erteile Ihnen hiermit ein Platzverbot!«
»Seid ihr noch ganz normal?«, meinte ich. »Ich habe doch gar nichts gemacht. Ich stand hier nur rum, als diese Jungs Stress anfangen wollten. Ich werde mich nicht vom Fleck bewegen. Ich chille auf der Reeperbahn, solange ich will. Wozu zahle ich Steuern in diesem Land?«
Natürlich war mein Gerede mit den Bullen reine Zeitverschwendung. Sie wollten keinen Stress auf ihrer Reeperbahn, also gingen sie den einfachsten Weg und schickten die Berliner weg – war ja klar. Im Endeffekt sind Nyze und ich auch gegangen, aber nicht, weil wir Schiss vor den Hamburgern hatten, sondern weil uns die Bullen sonst mit aufs Revier genommen hätten und der ganze Abend gefickt gewesen wäre. Meine Laune war ohnehin schon im Arsch.
Ganz ehrlich: Wenn die Polizei nicht gekommen wäre, hätte ich lieber aufs Maul bekommen, als kampflos das Feld zu räumen. Bei einer Schlägerei kommt es nicht immer darauf an, als Sieger nach Hause zu gehen. Wenn dich zehn Typen ficken, hast du meistens sowieso keine Chance. Schickst du aber den stärksten Kämpfer des Gegners zu Boden, hast du zumindest deine Ehre behalten. Es ist genau wie in 300, einem meiner Lieblingsfilme, der wie Sin City nach einem Comicroman von Frank Miller entstanden ist. 300 Spartiaten kämpfen gegen eine übermächtige Armee von mehreren Hunderttausend Persern. Die Spartiaten wissen von Anfang an, dass sie keinerlei Chance haben, ihre Heimat zu verteidigen, kämpfen aber trotzdem bis zum bitteren Ende. Aufzugeben hätte bedeutet, ihre Freiheit für immer zu verlieren. Auf der Straße ist es genauso. Als Berliner in Hamburg beim Straßenkampf abzukacken, wäre die schlimmste Blamage aller Zeiten gewesen. So etwas wird aber niemals passieren. Jedenfalls nicht, wenn ich dieser Berliner bin.
Sonny Techno – raus aus meinem Ghetto
Sommer 2002. Wir hatten mal wieder das schöne Loveparade-Wochenende in der Stadt. Jedes Jahr aufs Neue der gleiche Scheißabtörn. Ohne besonderen Grund besuchte ich meinen alten rumänischen Drogen-Kumpel Stacky in seiner kleinen Zweiraumwohnung in Charlottenburg. Ich weiß auch nicht wieso, mir war einfach danach. Er öffnete die Tür in seinen Atzen-Trainingshosen und hielt einen Joint in der Hand. Alles war genau wie früher. Wir gingen in die Küche und redeten über alte Zeiten. Draußen hörte man schon, wie die ersten Raver in Richtung Tiergarten zogen. Stackys Wohnung lag im ersten Stock direkt an der Hauptstraße. Ich öffnete das Fenster und schaute den Techno-Opfern hinterher.
»Wollen wir die Idioten abziehen?«, grinste ich.
»So wie früher, wa?«, schmunzelte Stacky und setzte Teewasser auf.
Auf dem Kühlschrank standen noch immer seine Kakteen. Damals war die ganze Wohnung voll davon gewesen. Während unserer LSD-Phase, wir waren da gerade 16, saßen wir genau hier, in seiner kleinen Küche, philosophierten über den Sinn des Lebens, redeten wirres Zeug über Schamanismus und irgendwelche Indianerrituale und lutschten südamerikanische Kaktusblätter, um uns mit Meskalin vollzudröhnen. Voll auf Kaktus suchten wir dann nach unserem persönlichen Totem. So ein Quatsch! Wir stießen mit unseren Tassen an und schlürften den Tee runter. Er schmeckte noch genauso scheiße wie damals, nur dass es mir früher nie aufgefallen
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