sah zur schmutzigen Decke auf und dachte an das Schicksal. Nur einen kurzen Augenblick dachte er daran.
Es war wohl klar, dass Paul Hjelm nicht tot war.
Wie sonst könnten die Dinge weitergehen?
Arto saß ganz still da. Er ließ das Blut in seinem Körper zirkulieren. Und auf einmal war es wunderschön zu leben.
Einfach so.
Es war ein großartiges Gefühl.
Das jedoch abgelöst wurde von der Erkenntnis, dass er nun vor einer moralischen Wahl göttlichen Ausmaßes stand, war eine ganz andere Sache. Selten waren die Dinge so klar und eindeutig wie in ebendiesem Moment. Und selten standen Gerechtigkeit und Rechtsprechung, Demokratie und Rechtsstaat so auf Messers Schneide wie genau in diesem Augenblick.
Er konnte das Papier den offiziellen Behörden übergeben und damit hoffentlich die unerhört langsam mahlenden Mühlen des Rechtswesens in Bewegung setzen. Vielleicht könnten dann im Laufe der nächsten fünf Jahre einige Mitglieder des brasilianischen Prostitutionssyndikats zur Rechenschaft gezogen werden, falls Interpol eingeschaltet würde.
Im Laufe dieser fünf Jahre würden schätzungsweise hundert junge Frauen von hemmungslosen Schönheitschirurgen in Film- und Sportstars verwandelt und verkauft und innerhalb eines Jahres verbraucht werden.
War Rechtsprechung nicht auch dazu da, Unrecht zu verhindern?
Die Schwachen zu schützen?
Dafür zu sorgen, dass die Starken, die Lautstarken und Rücksichtslosen jedenfalls nicht immer gewannen?
Wenn er anderseits diese Kundenliste an Magda Kouzmin schickte, würde er eine ziemlich große Zahl von Menschen zu einem ziemlich grauenhaften Tod verurteilen.
Hatte er Gewissen und Überzeugung genug, das zu tun?
Lag Arto Söderstedts Rechtsbewusstsein wirklich dermaßen weit abseits des allgemeinen? War er nicht in dem Fall ein Rechtsfanatiker?
Er folgte dem schieren Gefühl und schickte die Liste ab. Auf direktem Weg an »
[email protected]«. Er war sich bewusst, dass diese Tat ihn in alle Zukunft verfolgen würde.
Dann stand er auf und ging hinaus in den Flur. Er wanderte durchs Polizeipräsidium und fühlte sich moralisch erhaben. Doch zugleich sagte etwas in ihm, dass er eher in den Erdboden versinken sollte vor Scham.
Es war eine lange und sonderbare Wanderung. Sie war leicht und schwer, federleicht und bleischwer zugleich.
Als er das Untersuchungsgefängnis erreichte, hatte sich alles wieder eingependelt.
Die A-Gruppe stand vor dem großen Vernehmungsraum und schaute durch den venezianischen Spiegel. Er stellte sich zu ihnen. Sie schauten auf Kerstin Holm, die einer abgeschminkten Ulla Johansson gegenübersaß.
Einer entzauberten Tiina Spinroth.
Ohne komische Schminke und ihre noch komischeren Kleider machte Ulla Johansson einen sehr alltäglichen Eindruck. Sie war eine groß gewachsene Frau, die keineswegs dumm aussah, und es war ihr anzumerken, dass sie nicht zum ersten Mal in einem Verhör saß. Aber es war auch erkennbar, dass diese Situation – diese Art des Verhörs – nichts Alltägliches für sie war.
»Haben Sie wirklich Genuss empfunden?«, fragte Kerstin Holm.
»Ich weiß nicht«, sagte Ulla Johansson.
»Was hat Sie getrieben? Warum war es so wichtig?«
»Sie hatten mir alles kaputt gemacht. In der Grundschule lief alles gut. In der Mittelstufe machte es keinem etwas aus, dass ich größer war als die anderen. In den höheren Klassen fing es ein wenig an, aber da war ich so viel besser als die anderen, dass ich kein Problem damit hatte. Aber auf dem Gymnasium ging es richtig los. Sie terrorisierten uns wirklich. Mich und Jocke und Fredrik und Anders und Sofia und Lasse. Warum haben wir uns nie verbündet?«
»Ich glaube nicht einmal, dass sie wussten, was sie taten«, sagte Kerstin Holm. »Es geschah einfach.«
»Glauben Sie das wirklich? Waren Sie eine von ihnen?«
»Oft hängt es mit inneren Schwierigkeiten zusammen, die man nach außen wendet.«
»Und Sie waren eine von ihnen«, stieß Ulla Johansson aus.
»Wir bleiben jetzt mal bei Ihnen«, sagte Kerstin Holm ruhig. »Sie sind der Beweis dafür, dass es ein Mythos ist, dass alle Frauen ihren Zorn nach innen wenden. Sie wurden keine Anorektikerin, Sie wurden Mörderin. Aber es fällt mir schwer zu glauben, dass das besser ist.«
»Es hat mir auf jeden Fall geholfen, mich besser zu fühlen.«
»Ich nehme an, dass Sie auch Rainer Kruse ermordet haben?«
»Na und.« Ulla Johansson zuckte mit den Schultern.
»War es wirklich notwendig, ihn und Johannes Åkerblom zu ermorden?