Bußestunde
gehabt.
Genau wie sie selbst.
Der Mann wandte ihr den Rücken zu. Als sie fast bei ihm angelangt war, sagte er: »Ich weiß nicht, ob du mir jemals verzeihen kannst.« Er drehte sich um.
Es war Paul Hjelm.
Ohne Zweifel.
Sie warf sich einfach auf ihn. Schlang die Arme um ihn, fest, so fest. Und er tat das Gleiche.
So standen sie lange da, bis die Dämmerung hereinbrach. Sie standen an Bengt Åkessons Grab und umarmten sich, und sie spürten, dass er einverstanden war. Dass er lächelte.
All das Kalte war fort.
All das Böse war vertrieben.
Es war Paul.
Und es war Kerstin.
Es waren sie beide.
Schließlich gab sie ihm eine Ohrfeige. Das Klatschen hallte im wilden Wald wider.
Er lächelte.
»Fühlst du dich jetzt besser?«, fragte er.
»Kein bisschen«, sagte sie.
Und dann küssten sie sich.
44
Es war ein wunderbarer Herbstmorgen. Sie kamen von allen Seiten, und alle blieben sie einen Augenblick auf der Treppe des Polizeipräsidiums stehen und schnupperten.
Nein, es war nicht schlimm, dass der Herbst gekommen war. Sie würden auch diesen überleben.
Sie sammelten sich in der Kampfleitzentrale. Alle waren da. Arto Söderstedt und Gunnar Nyberg, Jorge Chavez und Jon Anderson, Sara Svenhagen und Lena Lindberg. Zwei Überraschungsgäste waren erschienen, Viggo Norlander im Morgenrock und Jan-Olov Hultin, zum dritten Mal pensioniert. Und als Letzte – gerade in diesem Moment – schlüpften auch Paul Hjelm und Kerstin Holm durch die Tür.
Sie kamen herein und ließen einander erst auf der Schwelle los.
Wie um zu testen, wer es sah.
Hjelm blickte sich um. Er schien ein wenig überrascht zu sein, dass niemand über seine Lebendigkeit verblüfft war.
»Ich habe gepetzt«, sagte Arto Söderstedt fröhlich.
»Ich auch«, sagte Viggo Norlander.
»Ich auch«, sagte Kerstin und setzte sich ans Katheder. »Ich möchte euch allen danken, dass ihr gekommen seid, vor allem Viggo, der sich vom Pflegeheim losgerissen hat, und Jan-Olov …«
»Der sich auch vom Pflegeheim losgerissen hat«, sagte Chavez, was ihm vereinzelte, aber unterdrückte Lacher sowie einen blitzend neutralen Blick von Hultin einbrachte.
Jorge Chavez stand auf, ging Paul Hjelm entgegen und nahm ihn einfach in den Arm. Fest und lange. Hjelm fühlte, wie seine nordischen Hände etwas unbeholfen am Oberkörper seines besten Freundes umhertasteten, bis sie endlich dessen Latinorücken umschlossen. So blieben sie eine gute Weile stehen.
Kerstin Holm lächelte kurz und sagte dann etwas energischer: »Ich habe euch zusammengerufen – die A-Gruppe mit Freunden, oder wie ihr es nennen wollt –, um euch einige Dinge mitzuteilen, die unser aller Zukunft angehen.«
Sie blinzelten verwirrt und sahen einander an. Dies hatten sie offenbar nicht erwartet.
»Aber zuerst«, fuhr Kerstin Holm nach kurzer Pause fort, »möchte ich, dass wir alles zusammenfassen, was in dieser dramatischen Woche passiert ist. Welche losen Enden gibt es noch?«
Ihre Worte lösten ein Stimmengewirr aus.
»Aber das kannst du doch nicht machen«, sagte Lena Lindberg vorwurfsvoll. Du kannst nicht A sagen, ohne B zu sagen.«
»Doch, das kann ich«, entgegnete Kerstin Holm. »Wenn ich will, dass ihr knappe und präzise Auskunft gebt.«
»Aber nun hör mal«, murrte Chavez und wischte sich verbliebene Flüssigkeit aus den Augen. »Hier sitzen Menschen, die in ihrer Freizeit hergekommen sind. Sie bezahlen dafür, hier zu sitzen. Andere, wie unser auferstandener Freund etwa, haben sich dienstfrei genommen, um hier zu sitzen und zu genießen. Das sind Opfer, die sie bringen, und deshalb sollte es ihnen erspart bleiben, mit anzuhören, wie wir über vergangene Erfolge labern.«
»Es handelt sich eher um eine Art Mentalhygiene«, sagte Kerstin Holm. »Gerade du kannst dich mit losen Enden doch nicht abfinden.«
»Da hast du recht.« Jorge nickte. »Daran habe ich nicht gedacht.«
»Außerdem weiß ich nicht, ob ich überhaupt noch eine Stelle habe, von der ich mir dienstfrei nehmen könnte«, sagte Paul Hjelm.
»Sara«, sagte Kerstin Holm. »Ihr wart im Löwenström’-schen Krankenhaus. Wie geht es unseren Opfern?«
»Sonderbarerweise scheinen alle durchzukommen«, sagte Sara Svenhagen. »Sogar Lisa Jakobsson. Aber es werden einige Narben zurückbleiben. Viel zu tun für die Schönheitschirurgie.«
»Und bestimmt auch eine Menge für die Psychotherapie«, sagte Jorge Chavez.
»Was lernen wir daraus?«, fragte Kerstin Holm. »Dass man seine Mitmenschen nicht mobben und
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