Butter bei die Fische: Ein Ostfriesen-Krimi (Piper Taschenbuch) (German Edition)
dir fasst.«
Vertrauen. Ha! »Du musst dich entscheiden – er oder ich!«, hätte Elias am liebsten empört ausgerufen. Nur weil er nicht sicher war, wie die Wahl ausfallen würde, ließ er es bleiben. Olly trug King Kong ins Freie und schloss die Glastür hinter ihm.
»Lass mal sehen.« Sie versorgte die Kratzer auf seinem Kopf, indem sie etwas Brennendes auftrug. Ihr Busen – sie hatte einen hübschen Busen, nicht zu klein, aber auch nicht überquellend – drückte gegen seine Nase. Dieser Busen sah nicht nur gut aus, er roch auch verdammt gut. Elias spürte, wie sein Ärger verflog. »Und du?«, fragte sie. »Wo liegt deine Leiche im Keller?«
Er stammelte überrascht etwas Unverständliches.
»Was?« Sie entließ ihn aus ihrem Busen und schraubte die Teufelstinktur wieder zu.
»Meine Mutter. Ich hab seit Ewigkeiten meine Mutter nicht besucht«, platzte er heraus.
Olly lächelte. »Das wird sie schon verstehen. Jetzt, mitten in einer so heißen Ermittlung, kannst du halt keinen Urlaub nehmen«, meinte sie. Und damit hatte sie natürlich recht.
Am nächsten Morgen sortierte Elias seine Klebezettel und konstatierte, dass er nicht weiterkam. Einen Moment stellte er sich vor, dass der Galgenvogel die kleine Steffi gekidnappt hätte. Man würde sie befreien und den Galgenvogel hinter Gitter sperren … Aber das war natürlich Quatsch. Nur dass ihm die Alternativen, was den Täter anging, allesamt nicht gefielen. Gitta, die die Familie über Wasser hielt, Oma Inse mit ihrem gemütlichen Küchentisch, der Steine züchtende Boris, die arme Bärbel, die sich vor buckligen Männlein graulte … Er hätte gar nicht entscheiden können, wen er am wenigsten gern hinter Gitter gebracht hätte.
Und wenn das Mädchen einen Unfall gehabt hatte? Nein, dann hätte man sie gefunden.
Und wenn sie plötzlich wiederauftauchte? Unwahrscheinlich, sehr unwahrscheinlich. Sie war auf dem geistigen Stand einer Sechsjährigen und auf den Rollstuhl angewiesen. Nein, irgendjemand hatte sie gepackt. Und vermutlich war es ein Familienmitglied gewesen.
Auf einem seiner Haftklebezettel stand immer noch Steffis Arzt aufsuchen , und weil die Sonne schien und um sich aus der pessimistischen Laune herauszuarbeiten, beschloss er, dem Doktor einen Besuch abzustatten. Diese Landärzte wussten doch praktisch alles über ihre Patienten. Wer konnte wissen, welche Erkenntnisse ihm dieser Vormittag bringen würde?
»Hier in Neermoor gibt’s keinen Arzt«, erklärte ihm Gitta, die er wenig später darauf ansprach. »Die können auf dem Land gar nicht überleben. Wir haben uns einen in Leer gesucht.«
Na schön. Er ließ sich die Adresse geben. Der Familiendoktor hatte seine Praxis in der Fußgängerzone. Elias bahnte sich den Weg durch einen Wochenmarkt und betrat eine Altbauwohnung mit hohen Decken und echten Dielen.
»Wer?«, fragte Dr. van Breucheling, nachdem Elias endlich in sein Sprechzimmer vorgedrungen war. Der Arzt war alt, sicher schon über siebzig. Unter seiner Liege stand ein verstaubter Aktenkoffer, und im Regal, neben zwei medizinischen Büchern, saß eine Schwarzwaldpuppe in einem gehäkelten Kleid.
Als Elias sein Anliegen vorgetragen hatte, schob der Arzt die Ärmel seiner Strickjacke hoch, setzte eine wichtige Miene auf und begann mit einem Finger auf einer Laptoptastatur zu tippen. Als er nicht fündig wurde, ließ er sich von seiner Sprechstundenhilfe die Krankenakten der Familie Coordes aus dem Karteikasten bringen. »Dürfen Sie sich das denn einfach ansehen?«, wollte er wissen.
»Ach, so viel will ich ja gar nicht wissen«, meinte Elias. »Wie ist diese Familie denn so – nach Ihrem privaten Eindruck?«
»Nett.«
»Und weiter?«
»Keine Ahnung.«
So viel also zum Thema Landarzt, dachte Elias.
Der Doktor blätterte in einem der Pappordner. »Stefanie Coordes. Ah ja … War zum letzten Mal vor einem Dreivierteljahr hier. Rheuma in der Hüfte. Armes Mädchen, wo sie doch sowieso schon so geschlagen ist.«
»Braucht sie regelmäßig Medikamente?«
»Natürlich.« Der Doktor schob ihm ein Karteiblatt über den Tisch. »Mucosolvanist gegen Schleim in den Bronchien«, erläuterte er. »Foradil ist ein Mittel gegen Asthma. Hat die Kleine aber nur ein einziges Mal verordnet bekommen. War wohl falscher Alarm. Das hier können Sie ganz vergessen, ist homöopathisch. Hab ich nur wegen ihrer Tante verordnet, die steht auf Öko und so. Nein, das Wichtige ist Methotrexat, das Rheumamittel. Wenn Steffi das nicht kriegt, ist sie
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