Butter bei die Fische: Ein Ostfriesen-Krimi (Piper Taschenbuch) (German Edition)
weiten Armbewegung über den Hof und den Rest von Ostfriesland wies und zweifellos etwas Grundsätzliches zum Wesen des Ostfriesen von sich gab.
Elias ließ sie stehen und ging hinauf in Gittas Stube. Gitta saß dort zusammen mit Olly, Harm und Reinert. »Weiß jemand, wo Boris steckt?«, fragte Elias durch die offene Tür, bekam aber keine Antwort.
Also machte er sich auf die Suche. Zunächst auf dem Hofgelände, inklusive Garten, und dann auf dem Feld dahinter. Er ging bis zum Friedhof an der Hauptstraße. Dort lief er zwischen den Grabsteinen zu der pyramidenhaften Kapelle. Aber Boris war nicht zu finden. Doch während Elias auf den schlichten Steinaltar mit der bodenlangen Decke starrte, ging ihm plötzlich auf, wohin der Junge sich verkrochen haben könnte.
Bärbel saß in ihrer eigenen Stube und wurde von Koort-Eike verhört. »Meine Steffi ist weg. Ich will nicht über blöde Hühner reden«, sagte sie. Koort-Eike nickte und sah müde aus, wahrscheinlich weil das Gespräch sich schon die ganze Zeit um diesen Punkt drehte. Elias schlich sich hinter ihnen vorbei in Boris’ Zimmer. Er schloss die Tür und legte sich bäuchlings auf den Boden. Boris hatte sich unter seinem Bett verkrochen, natürlich. Er lag dicht an der Wand.
»Kommst du raus?«, fragte Elias.
Boris rührte sich nicht, also machte Elias sich auf den Weg zu ihm. Unter Betten sieht es immer gleich aus: Oben der Lattenrost, durch den sich die Matratze drückt, und unten die Staubmäuse. Da Boris nicht wegkonnte, lagen sie erst einmal friedlich nebeneinander.
»Wieso haben sie dich eigentlich Boris genannt?«, fragte Elias schließlich.
»Wegen Boris Becker.«
»Und Steffi heißt nach Steffi Graf?« Elias nahm an, dass Boris nickte, hören konnte er nichts. Es roch nach Staub, dass man kaum Luft kriegte. Zu Boris’ Füßen lag eine zusammengeknüllte Unterhose. Durch die geschlossene Tür hörten sie die geduldige Stimme von Koort-Eike, der immer noch bei Bärbel nachbohrte wie ein Ingenieur in der Wüste nach Wasser.
»Boris und Steffi – weil deine Mama Tennis mag?«, fragte Elias.
Schweigen.
»Ich kann nicht Tennis spielen. Ist mir zu hektisch«, sagte Elias.
»Ich spiel mit der Wii«, sagte Boris. »Am liebsten Mario Kart. Kennen Sie das?«
»Nee.« Elias hatte eine vage Vorstellung von einem italienischen Mechaniker, der über Brücken hüpfte.
»Ich habe auch das Batman-Spiel, aber das darf ich noch nicht, weil es erst ab zwölf ist.«
»Da passt wohl Gitta auf, was?«
»Die ist ja oft weg.« Boris kicherte, verstummte aber sofort wieder. Draußen hing Murmeli an der Stallwand. Das wurde man so schnell nicht los. Eine Weile geschah gar nichts. Dann schob Boris seine Hand in die von Elias. Der erstarrte. Was tat man mit so einer Hand? Festhalten? Drücken? Ignorieren? Ging da jetzt gerade was in Richtung Gruppe ab? Gedanklich notierte er: Boris klammert sich fest . Zeichen für große Not? Aber die kleine Hand in der eigenen zu fühlen, mitsamt der Not, war so beklemmend, dass er plötzlich keine Lust mehr hatte, sich etwas zu notieren – nicht mal in Gedanken.
Koort-Eike verstummte. Stattdessen hörten sie durch die Tür jetzt Harms Stimme. Er fragte nach Boris und bekam keine Antwort. Ungeduldig riss er die Zimmertür auf. »Boris?«
Boris hielt den Mund. Elias auch. Aus unbestimmter Komplizenschaft und weil er sich plötzlich fehl am Platz fühlte, hier unterm Bett, zwischen den Staubmäusen, als Kriminaloberkommissar. »Wo kann der Junge denn stecken?«, hörten sie Harm fragen, während er die Tür wieder schloss. Koort-Eike tat seine Meinung kund, die sie aber nicht verstanden. Dann wurde es still.
»Hat das bucklige Männlein Steffi geholt?«, fragte Elias, nachdem eine Ewigkeit verstrichen war.
Boris schwieg.
»Deine Schwester braucht Medikamente. Gegen ihr Rheuma. Weil sie sonst Schmerzen hat. Deshalb müssen wir sie finden, das ist ganz wichtig.«
Boris zog seine Hand zurück. Er begriff das Problem. Das auf jeden Fall.
»Weißt du, wo sie ist?«
Schweigen.
»Kennst du das bucklige Männlein?«
»Bist du ein Zauberer?«, wollte Boris statt einer Antwort wissen.
»Wie kommst du darauf?«
»Weil du wie einer aussiehst. Wie der Zauberer in … weiß ich nicht mehr. Hab ich mal im Fernsehen gesehen. Die Haare und so.«
Elias stellte sich vor, dass seine quirligen, lockigen, nicht zu bändigenden und ewig zu langen Haare sich mittlerweile mit den Staubmäusen liiert hatten und dass es auf seinem Kopf aussah
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