Butterblumenträume - Rath, C: Butterblumenträume
Lebenseinstellung. Obwohl ihr das Leben oft übel mitgespielt hat, verlor sie nie den Mut oder gar ihren Humor. Mein Vater, ihr Mann, war schwer krank und in den letzten Jahren seines Lebens oft ungerecht zu ihr. Vielleicht war dies seine Art, mit seiner Krankheit fertigzuwerden, aber für sie waren es schwere Zeiten. Hinzu kam, dass mein Vater aufgrund seiner Krankheit nicht mehr arbeiten konnte und sie deshalb die Brötchen mit einem anstrengenden Außendienst-Job verdienen musste. Als er vor 15 Jahren starb, konnte er ihr nicht viel hinterlassen. Statt im heulenden Elend zu versinken, machte es meine Mutter wie immer: Sie krempelte die Ärmel hoch, organisierte die Beerdigung und den Umzug in eine kleine Wohnung und ging weiter arbeiten. Kurz darauf brach sie zusammen. Als sie nach ihrem Herzinfarkt eine Bypass-Operation bekam, hatte sie endlich einmal Ruhe und Zeit zum Nachdenken. Es war alles zu viel für sie gewesen. Also beschloss sie, weniger zu arbeiten und zur Abwechslung mal an sich zu denken. Sie suchte sich einen Job in der Altenpflege, den sie stundenweise ausüben konnte. Mit der zusätzlichen Betreuung von Nini, wenn ich arbeiten musste, war sie zwar ausgelastet, aber nie mehr so, dass es an ihre Grenzen ging. Die Arbeit bei den alten Leuten macht ihr viel Freude, denn nach eigenen Worten bekommt sie ›so viel zurück‹. Viel Geld verdient sie damit zwar nicht, aber sie braucht nicht viel, um glücklich zu sein. Gibt man ihr einen Pinsel und ein paar Farben, malt sie die schönsten und fröhlichsten Bilder, die ihr sonniges Gemüt widerspiegeln. Natürlich gab es im Laufe der letzten Jahre immer wieder mal Männer, denen sie durch ihr blendendes Aussehen auffiel und die sich für sie interessierten. Aber ich glaube, die letzten Jahre mit meinem Vater hatten sie so geprägt, dass sie keinerlei Interesse verspürte, sich wieder an einen Mann zu binden. Schließlich hat sie ja einen netten Freundeskreis und uns. Im letzten Jahr allerdings vertraute sie mir immer mal wieder an, sie fühle sich doch oft sehr alleine und sehne sich hin und wieder nach einem Partner für ›ihre letzten Jahre‹. Aber es sollte schon ein echter Partner sein, der mit ihr schöne Stunden verbringen wolle und nicht nur einer, der »bekocht und betütelt« werden will. Aber da sie ja so viele Interessen hat, habe sie damit keine Eile. ›Wenn es sein soll, dass ich noch mal jemanden treffe, der mir gefällt und dem ich gefalle, dann schlage ich zu‹, sagt sie immer. Vor einem knappen Jahr entdeckte sie einen Klub der Deutschen Post, welcher Briefkontakte im Ausland vermittelt. Schwuppdiwupp hatte sie mehrere Damen und Herren angeschrieben, um ihre ›Englischkenntnisse aufzubessern‹, und Nini und ich bekamen die Briefe der neuen Brieffreunde regelmäßig zu lesen. Einer hat es ihr besonders angetan: Steve aus Michigan in Amerika. Er scheint ebenso wie sie über ausreichend Zeit zu verfügen, denn seit Monaten findet ein reger Briefwechsel statt und jede Woche überqueren Briefe und Karten den großen Teich sowohl in die eine als auch die andere Richtung. Natürlich werden Nini und ich ständig über das Neueste aus Steves Leben informiert. Insgeheim amüsiert uns dieser Feuereifer natürlich ein bisschen, aber das würden wir ihr gegenüber niemals zugeben. Wir freuen uns ja für sie, dass ihr dieses neue Hobby so viel Spaß bereitet. Und ihre Englischkenntnisse haben davon auch profitiert – wobei sie trotz Wörterbuch immer noch nicht alles versteht und mich oft um Übersetzungshilfe bittet. Ich hoffe sehr, dass dies heute nicht wieder der Fall sein wird, denn ich möchte ihr lieber von der Modenschau, der geheimnisvollen Anouk und auch von meinem Traum ›Butterblume‹ erzählen. Aber ich fürchte, daraus wird nichts, denn als ich mich zwischen den kleinen Tischen durchschlängle, kann ich auf meinem Platz schon ein Bündel Briefe erkennen. Innerlich seufze ich, begrüße meine Mutter jedoch mit einem freundlichen »Hallo«, und sie steht auf und drückt mich erst mal herzlich.
»Lass dich anschauen, Liebes. Wo kommen diese Augenränder her? Hat dich der alte Sklaventreiber so getriezt oder«, sie senkt die Stimme verschwörerisch, »hattest du eine heiße Nacht mit Leon?«, fragt sie augenzwinkernd.
»Ach, Mama«, will ich gerade ausholen und mich über meine Eifersucht auf die schöne Anouk auslassen. Da unterbricht sie mich und sagt: »Es ist ja so schön, dass du heute Zeit hast. Schau nur, wie viele Boote auf
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