Butterblumenträume - Rath, C: Butterblumenträume
ist, im wahrsten Sinne des Wortes, die dickste Konkurrenz für uns. Sie ist so rund wie klein, mit halb Überlingen verwandt, bekannt oder verschwägert und bekommt fast alles mit, was so läuft, egal, ob Tod oder Scheidung. Daher hat sie sehr oft die Nase vorn, wenn es um brandheiße Immobilienverkäufe geht. Allerdings nicht immer. Denn auch Herr Aschenbrenner hat seine Informanten überall, seine Spione sitzen im Golfclub, betreiben Gaststätten oder praktizieren im Krankenhaus. Außerdem ist er selbst hier aufgewachsen und kennt Gott und die Welt. Deswegen habe ich auch keinerlei Zweifel, dass er schnell herausfinden wird, wer das Haus zu welchem Preis verkaufen will. Bei dem Gedanken daran fühle ich einen merkwürdigen Schmerz in meinem Herzen. Bestimmt wird es wieder so ein neureiches Ehepaar aus Stuttgart oder Reutlingen sein, das den Charakter des alten Hauses durch zahlreiche Umbaumaßnahmen in Form von moderner Architektur komplett verändern und dadurch zerstören wird. Ich zwinge mich dazu, an eine Familie zu denken mit einem kleinen Mädchen mit blonden Zöpfen, das in dem schönen Garten mit einem Hund spielen wird, und an einen Jungen, der seine Segeljolle an dem Steg festmacht. Vor meinem geistigen Auge sehe ich die Familie abends beim Grillen, und der kleine Hund tollt herum. Schon geht es mir etwas besser. Weil der Tag heute so schön ist, rufe ich meine Mutter an und lade sie spontan zum gemeinsamen Mittagsmahl ein. Nini hat heute den ganzen Tag Schule und wird mit ihren Freundinnen auf dem Schulhof ein Sandwich essen, aber ich habe heute nicht schon wieder Lust auf Käsebrot, und außerdem kam mir meine Mama gestern am Telefon so traurig vor. Begeistert sagt sie zu, und wir verabreden uns für 12.15 Uhr im Seegarten an der Promenade. Auf dem Weg dorthin mache ich noch einen Abstecher in die Parfümerie Drahtmann, um die Seife für Irma zu kaufen. Sofort, als ich das Geschäft betrete, umgibt mich ein betörender Duft. Strahlend kommt mir meine Lieblingsverkäuferin Heidi entgegen. Ich hatte gehofft, dass sie mich bedienen würde, denn sie ist einfach unglaublich nett. Es gibt Menschen, in deren Gegenwart man sich augenblicklich wohlfühlt, und sie ist so jemand. Abgesehen davon, dass sie wie keine Zweite meinen Geschmack für Parfum errät. Heute zieht sie mich mit verschwörerischer Miene zu einem Regal und sagt: »Wir haben gestern einen Duft hereinbekommen, bei dem ich sofort an dich denken musste.« Ich kann nicht widerstehen und schnüffele an dem schönen Flacon. Beim Aufsprühen auf die Haut entfaltet sich ein Duft nach Flieder und – was ist das noch? Ich glaube, Honig zu riechen. Der Duft ist weiblich, dezent und doch nachhaltig. Verstohlen blicke ich auf den Preis und erschrecke. Das ist im Moment wirklich nicht drin, stattdessen frage ich nach einer hübschen Seife für meine Kollegin. Heidi empfiehlt mir eine, die nach Maiglöckchen riecht und zudem eine schöne Schmetterlingsform hat. Das wird Irma gefallen. Beim Bezahlen sehe ich, dass Heidi mir ein Pröbchen von dem wunderbaren neuen Duft mit in die Tüte steckt. Wie nett von ihr. Damit werde ich demnächst meinen Liebsten betören, dann wird er jeglichen Gedanken an französische Marketing-Expertinnen vergessen.
Die Uferpromenade ist heute voller Menschen, kein Wunder bei dem schönen Wetter. Alle Lokale haben ihre Stühle und Tische draußen und Sonnenschirme aufgespannt. Auch im ›Seegarten‹ sind fast alle Plätze belegt, aber zum Glück hat meine Mutter schon ein Tischchen für uns ergattert und winkt mir von Weitem zu. Ich winke lächelnd zurück und freue mich wirklich, sie zu sehen. Mit ihren 67 Jahren sieht sie immer noch flott aus, was nicht zuletzt an den bunten und hellen Farben liegt, die sie immer trägt. »Schwarz macht alt« – das ist ihre Einstellung, und deswegen sieht man diese Farbe höchstens in Form von Handtaschen oder Schuhen an ihr. Auch heute trägt sie eine knallrote Jacke, darunter eine rot-weiß geblümte Bluse und eine weiße Hose. Dazu trägt sie marineblaue Ballerinas mit Goldborte und die dazu passende Handtasche. Ihre Haare sind eigentlich mittelbraun wie meine, jedoch von goldblonden Strähnen durchzogen und noch lockiger als meine. Wenn sie lacht, und das tut sie gern und oft, dann wirft sie den Kopf in den Nacken und zieht trotz ihres Alters alle Blicke auf sich. Auch heute ist sie hübsch geschminkt und trägt auffällige weiße Ohrclips. Am meisten bewundere ich ihre positive
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