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Butterbrot

Butterbrot

Titel: Butterbrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Barylli
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mir dann immer zwei bis drei Säckchen Zucker hinein und löse diesen dann nicht zur Gänze auf, so daß der Geschmack beim Trinken süßer und süßer wird, je mehr man sich dem Bodensatz nähert.
    An der Innenwand des hohen Glases bleiben dann nach jedem Schluck feine Zuckerstraßen zurück, die mit einer kleinen, rundlichen Schwenkbewegung in das milchbraune Urmeer zurückgelockt werden können. Das Schöne daran ist, den letzten Schluck so zu dosieren, daß die Bodenzuckerreste in einem letzten, gekonnten Schwung den Weg vom Glas in den Mund finden, um dort leise knirschend ihr süßes Leben auszuhauchen. Wenn dieser köstlichste aller Schlucke getrunken ist, gibt es dann aber immer noch eine allerletzte Sensation - nämlich den zarten Schaum, der sich - Gott weiß wie - über die ganze Genußzeit eines Glases lang beharrlich an den Wänden festgehalten hat und nun als Überlebender am Boden blitzende Bläschen wirft.
    Ja, ja - schon, schon - man kann ihn zwar mit einem langstieligen Löffel herausholen wollen - aber auch das kann nie wirklich restlos gelingen. Man muß diesem Kaffee sein Reservat belassen - seine letzte intimste Verweigerung, zur Gänze getrunken zu werden, mit Haut und Haaren, sozusagen - in maßloser Gier, aber das wäre ja auch gegen die Schule des »Zeithabens«, wegen der man ja doch hierher gekommen ist
    - also bestellt man sich lieber noch ein Glas, um das Spiel erneut zu beginnen.
    Wahrscheinlich ist die verschlüsselte Botschaft dieser Ereignisse die Erkenntnis, daß man nichts auf Erden jemals »ganz« besitzen kann und niemals »ganz« erfahren kann, wahrscheinlich ist das auch die Keimzelle aller Mißverständnisse - daß man den Dingen, den Momenten, den Menschen, denen man begegnet, den letzten Bodensatz ihres Daseins auslöffeln möchte, um sie zu besitzen, zu erobern und zu begreifen.
    Oh Gott - aber wo ist die Grenze?!
    Ab wann ist der nächste Schluck schon eine Vergewaltigung des Allerheiligsten, und ab wann ist es zaudernde Kraftlosigkeit, den nächsten Schluck nicht zu tun?!
    Ab wann ist eine Aktion ein Überfall und Abwarten lähmende Passivität? Wer kann es mir sagen - wer kann mich erlösen - oh Mami - oh Papi - oh Gott - oh lieber Herr Lehrer, der Osterhase soll bitte kommen und mir helfen - ja!?
    »Woran denkst du?« sagte sie und nahm meine Hand -»An den Osterhasen«, antwortete ich und freute mich über ihr Lachen, das der Situation auf erlösende Weise die Sporen gab.
    Sie lachte so unverschämt lieblich, daß die italienischen Ober wie Marionetten ihre dunklen Köpfe herumwarfen und Witterung aufnahmen. Mit blitzenden Augen in den Tiefen ihrer Genetik erfaßten sie, daß dieses Wesen an dem Punkt, an dem es sich gehenlassen würde, ein strombolischer Vulkan sein konnte -und trotzdem umsonst.
    Auch wenn sich ihre Rücken strafften und ihre Kellneraugen eine unverschämte Sekunde lang zu tief in ihre herrlichen Gebirgsseen tauchen wollten, während sie mir den vierten Kaffee hinstellten - die Hand, die sie selbst in hemmungslosestem Lachen festhielt, war meine Hand - war meine Hand - war meine Hand!
    Es war eine wohltuende Selbstverständlichkeit in dieser Abgrenzung - in dieser Vertrautheit, in diesem Burgwall, den wir gegen das Wolfsrudel errichteten, das unser warmes Feuer umkreiste.
    »Ah ja - an den Osterhasen«, lachte sie und streichelte mein Gesicht mit ihren zärtlichen Augen, die von einer Sekunde zur anderen alle Fragen des Universums zu Stecknadelkopfgröße verkleinerten.
    So schnell kann sich das hohe Gebäude der Urfragen des Menschen im Wüstenwind einer wahrhaftigen
    Zärtlichkeit umblasen lassen - dachte ich und war glücklich darüber, daß die Wärme ihrer Hand alle Querschaltungen in meinem Großhirn mit einem Kurzschluß torpedierte.
    Ich spürte, wie sich die Seele ihrer Hand mit der Seele meiner Haut zu verbinden begann und sich dieses Gefühl bis in meine Beine fortsetzte und von dort in den Bauch und in den Rücken und in die Hüften und in den Verstand - in das Bewußtsein!
    Nein, nein - wir waren noch nicht miteinander ins -also, wir hatten noch nicht gemeinsam eine Nacht verbracht - wir waren noch immer am Anfang, der vor einer Woche begonnen hatte und von dem wir beide nicht wollten, daß er uns mit hundertachtzig Stundenkilometern aus der Kurve trägt.
    Mir wurde oft leicht taumelig, wenn ich ihr näher kam, weil eine Art der Schwerkraft zu wirken begann, wenn wir uns auf weniger als vier Zentimeter näherten, die einen Kometen in eine

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