Bye Bye, Crazy Chick
ein halbes Jahrhundert zurückliegenden Zeit zurück. Er wirkte auf einmal dreißig Jahre jünger, als hätte er gerade irgendeinen magischen Verjüngungstrunk zu sich genommen. »Und jetzt trinken wir unsere Bellinis.«
Wie auf Befehl brachte der Kellner im weißen Jackett drei Champagnerflöten, die mit einem perlenden rosa Püree gefüllt waren, und stellte sie vor uns hin. Der Inhalt war so kalt, dass das Glas beschlug. Gobi und Milos hoben ihre Gläser. Entgegen meiner Erwartung bekam auch ich es hin, meines in die Hand zu nehmen, ohne es umzuwerfen. Wenn Milos Getränke bestellte, schien sich keiner mehr für den UNTER-21-Stempel auf meiner Hand zu interessieren. Ich nahm einen großen Schluck und fühlte mich sehr erwachsen.
»Auf Daniela«, sagte Milos, woraufhin wir anstießen und tranken.
»Köstlich.« Gobi tupfte sich die Lippen mit der Serviette ab. »Wie geht es ihr eigentlich?«
Milos erstarrte, das erhobene Glas in der Hand. Er setzte es so hart ab, dass etwas von dem Getränk auf das weiße Tischtuch spritzte. Dann richtete er sich auf, verzog sein Altmännergesicht ein wenig und runzelte die Brauen, als habe sich gerade ein altbekannter Schmerz bei ihm gemeldet. »Sie wissen es nicht?«
»Nein, was denn?«, fragte Gobi. »Ich habe nach dem Studium den Kontakt zu ihr verloren.«
Der alte Mann schob sein Glas beiseite. Er schien den Geschmack an dem Getränk verloren zu haben. Auch aus seinem Gesicht war jeder Glanz verschwunden. Das volle Alter war zurückgekehrt. Er sah wachsbleich und erschöpft aus, eine schreckliche Trauer stand ihm ins Gesicht geschrieben. »In dem Jahr nach dem Ende ihres Studiums bekam sie Kopfschmerzen – schreckliche Kopfschmerzen. Ihr war schwindelig und sie konnte nicht mehr richtig sehen. Die Ärzte fanden einen großen Tumor in ihrem Gehirn, nicht operabel, wie sie sagten. Sie gingen davon aus, dass sie nur noch ein halbes Jahr zu leben hatte.«
»Mein Gott«, sagte Gobi. »Ich hatte ja keine Ahnung.«
Milos betrachtete seinen Bellini einen Augenblick und wandte dann den Blick ab. »Daniela weigerte sich, dieses Todesurteil zu akzeptieren. Sie wissen ja, wie gern sie getanzt hat. Das war ihr Leben. Sie sollte in dem Dezember im Nationaltheater auftreten. Sie war meine einzige Enkelin und ich sagte ihr, wir könnten alles tun, was sie wollte, hinfahren, wohin sie wollte. Ich wünschte mir, dass ihr letztes Jahr auf dieser Erde so schön wie nur irgend möglich war. Ich wollte, dass es perfekt war.« Der alte Mann sah in die Ferne. Seine Stimme klang heiser und dünn, kein Vergleich zu dem robusten Tonfall, mit dem erdie Hemingway-Anekdote erzählt hatte. »Aber sie wollte nur in Prag bleiben und proben. Sie hatte den Auftritt in ihrem Kalender eingetragen. ›Wenn ich getanzt habe, dann kann ich sterben, aber nicht vorher.‹« Er schüttelte den Kopf. »Wir verloren sie im November. Sie hat nie mehr getanzt.«
»Gütiger Himmel.« Gobi atmete tief ein. Ich sah, dass sie weinte. »Das tut mir so … schrecklich leid.«
Milos nickte. »Und deswegen bitte ich jetzt immer jedes hübsche junge Mädchen, das ich treffe, einen letzten Tanz für Daniela mit mir zu tanzen. Aber ich bin alt, und Sie haben ja schon einen Partner. Also bitte.« Er machte eine einladende Geste, und als ich aufblickte, sah ich, dass die Kellner die Tische beiseite geräumt hatten. In der Mitte des Restaurants war eine leere Fläche entstanden. Aus unsichtbaren Lautsprechern in der Decke erklang Tangomusik, und mehrere Paare glitten bereits schwerelos über den Tanzboden. Bevor ich etwas sagen konnte, zog Gobi mich auf die Füße. Ich streckte den Arm noch einmal nach dem Glas aus und leerte den Rest meines Bellinis in einem eiskalten Riesenschluck.
»Ich kann nicht tanzen, falls du dich erinnerst?«, flüsterte ich.
»Ist nur Tango. Das ist wie Sex, nur mit Kleidern.« Sie drückte mich dichter an sich. »Oh, Entschuldigung. Hatte ich ganz vergessen. Wie das geht, weißt du ja auch nicht.«
»Oh, haha.«
»Entspann dich. Ich führe, mach einfach mit.«
Ich blickte hinüber zu Milos, der uns vom Tisch aus beobachtete. »Du kannst den armen Mann nicht umbringen. Er ist ein total netter alter Europäer. Er hat dir nichts getan!«
»Halt den Mund.«
»Er hat sich mit Hemingway zusammen betrunken, verdammtnoch mal! Und die Geschichte mit seiner Enkelin – du hast geweint.«
Gobi bedachte mich mit einem eiskalten Blick. »Ich kann mich zum Weinen bringen, wann ich will.«
»Das waren
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