Bye Bye, Crazy Chick
schwarz. Es sah aus, als ob in seinem Rückgrat ein langer, schwarzer Dolch steckte. Er grinste über beide Ohren wie ein Kleinkind. »Mann, du hast es geschafft! Das war spitze!«
Ich reagierte nicht, sondern suchte den Saal nach Tränentattoo ab und entdeckte ihn direkt vor der Bühne, von wo er mich mit tödlichen Blicken bedachte. Aber so lange wir weiterspielten, konnte er mir nichts anhaben. »Hey, Norrie, guck mal –«
»Wow, Wahnsinn, Mann!« Norrie packte mich am Arm. »Hast du gesehen, wer da im Publikum ist?«
»Wer, mein Dad?«
»Jimmy Iovine. Ich sag’s dir, Alter, das ist v-verdammt noch mal J-Jimmy
Iovine
!«
»Echt?«
»Ja, Mann, guck doch. Na-na-natürlich ist er das.« Ein Ellbogen so scharf wie ein Breitschwert rammte sich mir in die Seite. »Ich hab dir doch gesagt, dass In-Interscope Rerecords auf unserer Facebook-Seite ru-rumgeschnüffelt hat. Du hast gemeint, das wäre B-Bullshit, aber da ist er.« Norries Ich-bin-sechs-und-in-Disneyland-Grinsen mutierte zu einer bescheuerten Schimpansengrimasse, die beide Seiten seines Gesichts dehnte wie eine schiefgegangene Schönheits-OP. »Ja, das ist unsere große Chance! Jetzt sind wir dran, und zwar genau jetzt!«
»Na super.«
Luftholen, du Idiot
, ermahnte ich mich selbst. Tränentattoo hielt mittlerweile den Bühnenrand umklammert, als überlegte er hinaufzuspringen.
Und genau in diesem Moment, der eigentlich nicht merkwürdigerhätte sein können, erblickte ich ein anderes bekanntes Gesicht ganz hinten in der Menge. Eine große, kühle Brünette.
Valerie Statham war zu meiner Rock-’n’-Roll-Show gekommen.
Ich sah Norrie an. »Die Chefin von meinem Alten ist da.«
»Was?«
»Die, die mir eine Empfehlung für Columbia schreiben soll. Ich hatte ganz vergessen, dass ich sie eingeladen habe.« Plötzlich hatte ich das unmissverständliche Gefühl, dass zwei völlig verschiedene Welten in meinem Gehirn aufeinanderprallten. »Was sollen wir tun?«
»Wa-was glaubst denn du, was wir jetzt tun?« Norrie grinste. »Wir rocken härter als je zuvor, verdammt noch mal!«
»Welches Stück?«
»Ich glaube, wir müssen ›Tovah‹ bringen.«
Ich hatte irgendwie gehofft, dass er das sagen würde und zugleich gebetet, dass er es nicht tat. ›Tovah‹ war der Song, an dem wir die letzten zwei Monate gearbeitet hatten. Er handelte von einem Mädchen, in das Norrie sich mit vierzehn im jüdischen Ferienlager verguckt hatte und das im Jahr darauf an einer Überdosis Valium mit Tequila gestorben war. Wenn das Lied einmal fertig war, würde es eventuell das beste Stück sein, das wir je zusammen geschrieben hatten. Aber es war noch nicht fertig.
Am Ende spielte das jedoch keine Rolle.
Wir rockten los und die Zuschauer sprangen sofort darauf an. Ihre Gesichter strahlten wie der Mega-Großbildschirm am Times Square. Es war, als hätte der Kneipenwirt den ganzen Abend über Ginger Ale ausgeschenkt und jetzt gab’s auf einmal Jack Daniels.
Der Typ an der Bar, der eventuell Jimmy Iovine war, ließ das Handy sinken und hörte zu. Valerie Statham drehte sich in Richtung Bühne und starrte. Sogar Tränentattoo wirkte beeindruckt. Wir beendeten die zweite Strophe, kamen zum Refrain –
Und die Welt wurde schwarz.
Dreizehn
Dorothy Day sagte: »Niemand hat das Recht herumzusitzen und Trübsal zu blasen. Dafür gibt es viel zu viel zu tun.« Was gibt es für Ihre Generation ›zu tun‹ und welche Rolle spielt diese Aufgabe für Ihre Zukunft als Führungspersönlichkeit? Schreiben Sie einen kreativen, nachdenklichen oder provozierenden Aufsatz.
University of Notre Dame
Die Musik erstarb wie eine Kerze, die plötzlich ausgepustet wird. Eine Sekunde war noch Sashas Stimme in der Finsternis zu hören, die ohne die Hilfe des Mikrofons nackt und kindlich quäkend klang. Dann verstummte auch sie, genau wie das Scheppern von Norries Schlagzeug. Aus dem Publikum kam der verblüffte Aufschrei: »Häh?«, wie bei der letzte Folge der
Sopranos
. Überall herrschte Schrecken und Verwirrung, was noch durch die Tatsache verstärkt wurde, dass nichts zu sehen war außer der Neon-Bierreklame im Fenster.
Ich spürte eine Hand am Ärmel, die mich von der Bühne zerrte. Also ließ ich den Bass fallen und ruderte mit den Armen, um nicht hinzuknallen, erlebte aber am eigenen Leib, dass Luft sich im Allgemeinen nicht wie eine solide Masse verhält: Ich knallte mit dem Kinn auf die Bühne, sodass mein ganzes Gesicht bis zu den Kieferknochen taub wurde.
»Steh auf«,
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