Byrne & Balzano 02 - Mefisto
Colleen beeindrucken wollen. Er sprang mit seinem Skateboard über ein Geländer, zappelte in der Luft herum und krachte neben Colleen zu Boden.
Nachdem er sich aufgerappelt hatte, versuchte er, die Sache herunterzuspielen. Vor seinen Augen wechselte Colleen einen Blick mit ihrem Vater und sagte in der Gebärdensprache: Was für ein Blödmann!
Der Junge lächelte in dem Glauben, er hätte ihr mit seiner Vorführung imponiert.
Die Gehörlosigkeit hatte Vorteile, und Colleen Byrne kannte sie alle.
Als die Büroangestellten zögernd zu ihren Arbeitsstellen zurückkehrten, lichtete die Menge sich ein wenig. Byrne und Colleen beobachteten einen gescheckten Jack Russell, der versuchte, auf einen Baum zu klettern, um ein Eichhörnchen zu quälen, welches zitternd auf dem untersten Ast saß.
Byrne beobachtete seine Tochter, die wiederum den Hund beobachtete. Der Anblick ließ sein Herz höher schlagen. Colleen war so ruhig und ausgeglichen. Vor seinen Augen verwandelte das Mädchen sich in eine Frau, und Byrne hatte wahnsinnige Angst, sie könnte das Gefühl haben, er hätte nichts damit zu tun. Es war lange her, dass sie als Familie zusammengelebt hatten, und Byrne spürte, dass sein positiver Einfluss auf seine Tochter schwand. Er musste sich allerdings eingestehen, dass seine negative Einstellung kaum positive Einflüsse zuließ.
Colleen schaute auf die Uhr und runzelte die Stirn. »Ich muss los«, sagte sie.
Byrne nickte. Die Ironie des Älterwerdens bestand darin, dass die Zeit viel zu schnell verging.
Colleen brachte den Abfall zu einem Papierkorb in der Nähe. Byrne sah, dass jedes männliche atmende Wesen seine Tochter beobachtete. Damit konnte er sich nur schwer abfinden.
»Alles okay?«, fragte Colleen.
»Alles in Ordnung«, erwiderte Byrne. »Sehen wir uns am Wochenende?«
Colleen nickte. »Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich auch, meine Kleine.«
Sie umarmte ihn noch einmal und küsste ihn auf den Kopf. Byrne sah ihr nach, als sie in die Menge eintauchte und im regen mittäglichen Treiben der Stadt verschwand.
***
Er sah verloren aus.
Er saß an der Bushaltestelle und las im Wörterbuch der Amerikanischen Gebärdensprache, einem wichtigen Nachschlagewerk für jeden, der die amerikanische Gebärdensprache erlernen wollte. Ein wenig ungeschickt balancierte er das Buch auf den Knien, während er gleichzeitig mit den Fingern der rechten Hand mühsam Wörter formte. Colleen gewann den Eindruck, dass er entweder eine Sprache sprach, die lange tot oder noch nicht erfunden war. Auf jeden Fall war es nicht die amerikanische Gebärdensprache.
Sie hatte ihn noch nie an der Bushaltestelle gesehen. Er sah gut aus, obwohl er schon älter war – die ganze Welt war älter –, aber er hatte ein freundliches Gesicht. Und er sah irgendwie süß aus, als er in dem Buch blätterte. Er hob den Blick und sah, dass sie ihn beobachtete. Sie begrüßte ihn in der Gebärdensprache: »Hallo.«
Er lächelte ein wenig befangen, doch es versetzte ihn sichtlich in Aufregung, jemanden zu finden, der die Sprache sprach, die er erlernte. »Bin ich … so schlecht?«, fragte er zögernd in der Gebärdensprache.
Colleen wollte höflich sein. Sie wollte ihn ermutigen. Unglücklicherweise sprach ihre Miene die Wahrheit, ehe sie die Lüge mit den Fingern formen konnte. »Ja, sind Sie.«
Verwirrt schaute er auf ihre Hände. Sie zeigte auf ihr Gesicht. Er hob den Blick. Sie nickte mit dramatischer Miene. Er errötete. Sie lachte. Er stimmte in das Lachen ein.
»Sie müssen zuerst die fünf Grundelemente einer Gebärde verstehen«, gab Colleen ihm langsam zu verstehen. Mit dem Hinweis auf die fünf Grundelemente der amerikanischen Gebärdensprache bezog sie sich auf die Handform, die Handstellung, die Bewegung, den Ausführungsort einer Gebärde und die Mimik.
Jetzt sah er noch verwirrter aus. Es war, als würde sie in Kentucky chinesisch sprechen.
Colleen nahm sein Buch in die Hand, blätterte zurück zu den ersten Seiten und zeigte auf die Grundelemente.
Er überflog den Abschnitt und nickte. Dann hob er den Blick, formte mit den Fingern ein vages »Danke« und fügte hinzu: »Wenn du mal Lust hast, Unterricht zu geben, bin ich dein erster Schüler.«
Sie lächelte. »Gern.«
Eine Minute später stieg sie in den Bus. Er blieb sitzen. Offenbar wartete er auf eine andere Buslinie.
Unterrichten, überlegte Colleen, als sie vorne im Bus einen Sitz fand. Vielleicht eines Tages. Sie war anderen gegenüber stets sehr geduldig und
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