Byrne & Balzano 02 - Mefisto
»Ich…«
»Deine Tochter beobachtet dich.« Jessica hörte vor dem Haus Sirenen, das Dröhnen starker Motoren, das Quietschen von Bremsen. Das war das SWAT-TEAM. Sie hatten die Schüsse gehört. »Das Sondereinsatzkommando ist da, Partner. Du weißt, was das bedeutet. Jetzt geht es hier richtig zur Sache. Tango-Time.«
Noch ein Schritt. Eine Armlänge entfernt. Jessica hörte Schritte, die sich dem Gebäude näherten. Sie würde es nicht mehr schaffen. Die Zeit rannte ihr davon.
»Kevin. Du musst etwas tun.«
Über Byrnes Gesicht rannen Schweißperlen. Sie sahen aus wie Tränen. »Was? Was soll ich tun?«
»Du musst ein Foto machen. Vor dem Eden Roc.«
Byrne lächelte verhalten, und in diesem Lächeln spiegelte sich der Weltschmerz seines ganzen Lebens.
Jessica starrte auf seine Waffe. Etwas stimmte nicht. Es war kein Magazin in der Waffe. Sie war nicht geladen.
Dann sah Jessica eine Bewegung in der Ecke des Raumes. Sie spähte zu Colleen hinüber. Blickte ihr in die Augen. In die angsterfüllten Augen. Angelikas Augen. Augen, die ihr etwas sagen wollten.
Aber was?
Sie schaute auf die Hände des Mädchens.
Und begriff, als…
… die Zeit stehen zu bleiben drohte.
Jessica umklammerte mit beiden Händen die Waffe und wirbelte herum. Neben ihr stand ein anderer Mönch in einer blutroten Robe – seine Waffe auf ihr Gesicht gerichtet. Sie hörte das Klicken des Hahns, sah, dass sich die Trommel drehte.
Keine Zeit für Verhandlungen. Keine Zeit für Kompromisse. Nur die glänzende schwarze Maske in diesem Meer roter Seide.
Ich habe seit Wochen kein freundliches Gesicht gesehen…
Detective Jessica Balzano feuerte.
Und feuerte.
93.
Wenn man jemanden getötet hat, kommt der Moment, da die menschliche Seele weint und das Herz hart mit sich ins Gericht geht.
Der Geruch des Schießpulvers hing in der Luft.
Der kupferne Geruch frischen Blutes erfüllte die Welt.
Jessica schaute Byrne an. Dieser Augenblick und die Ereignisse, die sich an diesem feuchten, grässlichen Ort zugetragen hatten, würden sie für immer verbinden.
Jessica wurde bewusst, dass sie ihre Waffe noch immer mit beiden Händen fest umklammerte. Rauch quoll aus der Mündung. Sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. Vergebens kämpfte sie dagegen an. Die Zeit verging. Minuten? Sekunden?
Sanft umschloss Kevin Byrne ihre Hände und nahm ihr die Waffe aus der Hand.
94.
Byrne wusste, dass Jessica ihn gerettet hatte. Er würde es niemals vergessen und wäre ihr für immer zu Dank verpflichtet.
Niemand muss es erfahren…
Byrne hatte seine Waffe auf Ian Whitestones Schädel gepresst und ihn irrtümlicherweise für den Filmemacher gehalten. Als er die Lichter ausgeschossen hatte, hatte er Geräusche in der Dunkelheit gehört. Ein Poltern und Stolpern. Byrne hatte die Orientierung verloren. Das Risiko, noch einen Schuss abzufeuern, war zu groß. Als er mit dem Griff der Pistole zuschlug, traf er auf Fleisch und Knochen. Als er das Oberlicht einschaltete, kniete der Mönch in der Mitte des Raumes auf dem Boden.
Die Bilder, die er gesehen hatte, stammten aus Whitestones eigener schwarzer Seele – was er Angelika Butler angetan hatte, was er all den Frauen auf den Videobändern, die sie in Seth Goldmans Hotelzimmer gefunden hatten, angetan hatte. Byrne konnte nicht ahnen, dass Whitestone, der das Kostüm und die Maske trug, gefesselt und geknebelt war. Er hatte versucht, Byrne verständlich zu machen, wer er war. Byrnes Waffe war nicht geladen, aber in seiner Tasche steckte ein volles Magazin. Wenn Jessica nicht durch diese Tür gekommen wäre…
Er würde es niemals erfahren.
In diesem Augenblick zerschmetterte eine Ramme das angestrichene Fenster. Grelles Tageslicht durchflutete den Raum. Binnen Sekunden stürzten ein Dutzend Detectives mit gezogenen Waffen und brodelndem Adrenalin in den Raum.
»Sauber!«, rief Jessica, die ihre Dienstmarke in die Höhe hielt. »Alles unter Kontrolle!«
Eric Chavez und Nick Palladino sprangen durch die Öffnung und stellten sich zwischen Jessica und die zahllosen Detectives und FBI-Beamten, deren Finger ein wenig zu locker am Abzug saßen. Die beiden Männer hoben ihre Hände und stellten sich beschützend an Byrnes und Jessicas Seite und den nun auf dem Boden kauernden Ian Whitestone, der wie ein Kind schluchzte.
Sie waren in Sicherheit. Ihnen konnte nichts mehr geschehen.
Jetzt war es wirklich vorbei.
***
Als sich zehn Minuten später der Apparat der polizeilichen Tatortermittlung in
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